DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
sein.
Denn als Nächstes öffnete er die Augen und sah nicht länger eine Kerze, sondern Makowski, wie er dastand, den Kopf auf die Seite gelegt wie ein Hund, der seinem Herrchen lauscht. Er schien sich sanft zu einer unhörbaren Musik zu wiegen.
Oder doch nicht unhörbar?
Menhaus glaubte, ebenfalls etwas wahrzunehmen. Etwas Fernes, einen Laut, eine Melodie ... aber von weit weg und nur ganz hinten in seinem Kopf.
»Slim«, hörte er sich flüstern. »Slim ... was machst du da?«
Aber Makowski antwortete nicht.
Er starrte die Tür an und schien etwas zu hören, allein für ihn bestimmt. Sein geistiges Radio empfing offensichtlich einen Sender. Der Rest der Welt hatte für ihn zu existieren aufgehört.
Menhaus drehte sich um und schaute Saks an.
»Ja, ich bin wach«, sagte Saks. »Der Einzige, der hier schläft, dürfte Slim Klapsmühle sein.«
Und es sah tatsächlich so aus, als schlafe der andere. Betäubt oder hypnotisiert, wie ein Schlafwandler, mit diesem bekifften Blick in den Augen – genau so sah Makowski aus. Die Augen starrten glasig vor sich hin, und er rieb unentwegt die Hände an den Beinen. Sein bewusstes Denken musste irgendwo in einer Schachtel weggeschlossen sein, das Unterbewusstsein übernahm das Ruder.
Menhaus wusste, dass man Schlafwandler eigentlich nicht aufwecken sollte, aber wahrscheinlich war das ebenfalls nur ein Ammenmärchen, eine – wie sagte man noch – urbane Legende?
Nein, dachte er, ich werde ihn nicht wecken – es sei denn, er geht zur Tür.
»Was hältst du davon?«, fragte er Saks leise.
Saks zuckte nur die Schultern. Es war ihm scheißegal.
Makowski stand da und lauschte.
Menhaus glaubte, das Geräusch erneut zu hören – oder doch nicht? Ein merkwürdiges, unheimliches Summen, oder doch eher ein Pfeifen? Er konnte es hören, aber nicht deutlich genug, um Einzelheiten auszumachen, um einen Rhythmus oder eine Melodie zu erkennen, nicht einmal deutlich genug, um sich tatsächlich sicher zu sein, dass es da etwas gab.
Er schaute zu Saks, und Saks hatte sein Messer gezogen, als rechne er mit Ärger. Seine Augen hatten sich zu schmalen Schlitzen verengt. Er bleckte seine Zähne.
»Was geht hier vor?«, fragte Menhaus, denn er wusste, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Atmosphäre in dieser Kabine hatte nie besonders fröhlich und sonnig gewirkt, aber jetzt war sie eindeutig düster und unheilschwanger. Man konnte förmlich spüren, wie sich das Gift im Blutkreislauf ausbreitete.
Saks wartete, zog das Schweigen in die Länge und flüsterte dann: »Da ist jemand auf dem Gang.«
»Nein, das glaube ich nicht.«
»Doch«, sagte Saks mit absoluter Gewissheit. In seinen Augen leuchtete ein trübes, brütendes Licht. Nur die Reflexion des Kerzenlichts oder etwas anderes? »Jemand ist da draußen und wartet auf Makowski. Er kann es hören ... er hört es laut und deutlich.«
Menhaus schluckte, aber nur mit Schwierigkeiten.
Denn auch bei ihm machte es sich jetzt bemerkbar. Nur zu gerne hätte er Saks gesagt, dass er sich irrte, dass alles nur Unsinn sei, aber er konnte es nicht. Denn er hörte etwas ... ein Ächzen oder Stöhnen draußen im Gang, und dieser Laut, so leise er sein mochte, ließ ihm die Haare zu Berge stehen. Er brachte seine Nervenenden zum Kribbeln und seinen Magen dazu, sich zu verkrampfen. Es handelte sich nicht nur um die Geräusche eines alten Schiffs, nicht nur um ein Ächzen oder Stöhnen – es war das Geräusch einer Präsenz, von etwas, das dort in dem feuchtkalten Korridor wartete. Verstohlen, berechnend und hinterlistig – und gerade deshalb so verstörend.
Wie etwas, das sich mitten in der Nacht ins Haus schlich, um die Kinder zu entführen oder einem die Kehle durchzuschneiden, dachte Menhaus.
Es gefiel ihm ganz und gar nicht.
Makowski ging zur Tür und blieb davor stehen. Stand da wie ein Zombie in einem Zuckerrohrfeld, der auf Befehle wartete. Menhaus setzte sich auf, sorgsam bemüht, dabei keinen Laut zu verursachen. Und er dachte: Bitte, Slim, mach die Tür nicht auf, bitte mach die Tür nicht auf ... ich will nicht wissen, was dort draußen ist ...
»Saks ...«
»Klappe«, fuhr Saks ihn an, aber leise, so leise wie möglich.
Und jetzt wusste Menhaus auch, warum.
Es gab einen sehr guten Grund, leise zu sein.
Denn er hörte es jetzt deutlich. Ein Summen oder ein Pfeifen, sogar ein leichtes Singen, von allem etwas. Die Stimme einer Frau, hoch und piepsig. Eine misstönende und nichtssagende Melodie, die anstieg und wieder fiel,
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