DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
dem Moment konnte er sich nicht erinnern, jemals etwas so Gutes genossen zu haben.
»Der Tintenfisch jagt nur in der Nacht«, erklärte sie ihnen. »Bei Tag taucht er tief unter. Er scheut das Licht.«
»Ich nehme an, Sie hatten schon mit ihm zu tun?«, fragte George.
Sie ignorierte ihn und beobachtete Cushing, der sich um Gosling kümmerte. Sie beobachtete ihn sehr aufmerksam. Ein weicher Zug spielte um ihren Mund, als sie Cushing zusah, als würde er sie an jemanden erinnern. Und wahrscheinlich war das auch so.
»Sind Sie Arzt, Mr. Cushing?«
Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe nur ein paar Erste-Hilfe-Kurse besucht. Gerade genug für das Nötigste.«
Sie starrte ihn eine Weile an und wandte sich dann ab. »Der Tintenfisch kommt nur in der Nacht an die Oberfläche. Ihre Lampen werden ihn angelockt haben. Ich glaube, er jagt, indem er Bewegungen oder Körperwärme wahrnimmt – das Licht mag ihn neugierig gemacht haben. Und ... seine Krallen sind giftig. Ihr Freund könnte sterben.«
»Sie wissen eine Menge über diese Kreatur, oder?«, fragte Cushing.
»Er ist schon länger hier als ich.« Sie dachte einen Moment nach. »Ich glaube, er haust im Rumpf von einem der alten Wracks.«
»Wie lange sind Sie hier?«, wollte Chesbro wissen.
Sie seufzte. »Ich bin mir nicht sicher. Eine Weile haben wir die Zeit notiert, aber dann nicht mehr. Manchmal scheint es mir, als lebte ich schon immer hier. Aber es sind Jahre, so viel weiß ich.«
»Sie sagten ›wir‹ ... gibt es noch andere?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nur mich und meine Tante Elsie – sonst niemanden mehr. Anfangs waren wir zu zehnt. Der Tintenfisch tötete drei in der ersten Woche. Die anderen ... wurden von anderen Kreaturen angegriffen. Mein Onkel Richard verstarb ... war es letztes Jahr? Ich weiß es nicht mehr. Ich vermute, er erlag einem Herzleiden. Er ist im Schlaf von uns gegangen. Nun sind wir beide allein.«
George wunderte sich über ihre Redeweise, die ihm unnötig förmlich vorkam. So hatte man sich früher in schriftlicher Korrespondenz ausgedrückt. Er fragte sich, wie lange sie sich wirklich schon hier befand.
»Wo ist Ihre Tante?«, fragte Chesbro.
»Sie schläft. Sie ist alt – und die meiste Zeit ein wenig verwirrt. Bitte bedenken Sie das, wenn Sie mir ihr reden. Es war nicht leicht für sie.«
»Wovon leben Sie hier?«, wollte George wissen. »Ich meine, was essen Sie? Woher bekommen Sie Ihre Verpflegung?«
Sie erklärte, dass sie und ihre Tante im Grunde vom Plündern lebten. Immer wieder tauchten neue Schiffe im Algenmeer auf, mehrere jedes Jahr. Sie durchsuchte sie nach Essen und anderen Vorräten, nach Kleidung, Decken und Benzin – alles, was sie finden konnte. Auch nach Überlebenden hielt sie Ausschau, aber die meisten waren entweder tot, verschwunden oder wahnsinnig, wenn sie hier ankamen.
»Ich bin nicht die einzige Person hier, müssen Sie wissen«, erklärte Elizabeth. »Mir sind fünf oder sechs weitere bekannt. Die meisten sind jedoch verrückt. Aber Sie können gerne so lange bei uns bleiben, wie Sie wünschen.«
»Ich hatte gehofft, dass Sie das sagen.« George lächelte, aber sie reagierte nicht.
Dein jungenhafter Charme zieht bei diesem Mädchen nicht, schalt er sich, also lass es sein. Und überhaupt, stell diese Gedanken ab – du hast Frau und Sohn zu Hause.
Das stimmte natürlich. Aber Elizabeth Castle war nun einmal begehrenswert. Sie besaß so etwas Wildes und Ungezähmtes, ja fast schon Exotisches. Diese Augen, dieser fein geschwungene hungrige Mund, ihre sportliche, durchtrainierte Anmut. Aber halt! Nicht weiter!, befahl George sich. Denn er war verheiratet, und selbst wenn nicht, so bedachte ihn diese Frau mit einem Blick, wie er kälter nicht sein konnte. Wenn man es sich mit ihr verdarb, kratzte sie einem die Augen aus. Jedenfalls machte sie auf ihn diesen Eindruck. Sie erinnerte ihn an eine Kriegerin. Eine Frau, die einem kämpferisch und wahrscheinlich auch intellektuell haushoch überlegen war.
Außerdem, dachte er, hast du doch bemerkt, wie sie Cushing angesehen hat. Nicht gerade so, wie eine Schwester ihren Bruder ansieht, wenn du verstehst, was ich meine.
Sicher, Cushing. Er hatte eine ungezwungene, offene Art. Man musste ihm nur in seine blauen Augen sehen und ahnte gleich, dass er intelligent und mitfühlend, loyal und zuverlässig sein musste. Außerdem war er groß, blond und gut aussehend – wie ein nordischer Recke. Die Frauen mussten nur so auf ihn fliegen.
Elizabeth
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