DEAD SEA - Meer der Angst (German Edition)
von diesem Ort als erbittertem Feind – etwas, gegen das man in jeder einzelnen Sekunde kämpfen musste, das man aber nie besiegen konnte. Sie wirkte wie eine durch und durch nüchterne und unbeugsame Frau, und nur so hatte sie hier wahrscheinlich überleben können – durch Einfallsreichtum und sture Beharrlichkeit. Vermutlich hatten die vielen Tode, die sie mit ansehen musste, sie dazu angestachelt, sich noch hartnäckiger ans Leben zu klammern.
George fand auch, dass sie sehr gesund aussah. Ihre Augen leuchteten, ihr Haar glänzte, ihre Zähne waren weiß und kräftig. Aber blass kam sie ihm vor, mit dem Teint von makellosem Porzellan. Doch das lag vermutlich am Mangel an Sonnenlicht. Falls Menschen hier über mehrere Generationen lebten und sich fortpflanzten, verloren sie wohl früher oder später alle Hautpigmente.
»Alles, was wir wollen«, sagte Cushing, »ist ein Weg nach Hause.«
»Es gibt keinen«, erwiderte Elizabeth mit harter Stimme.
»Haben Sie es schon mal versucht?«, fragte George.
Sie durchbohrte ihn mit einem harten, vernichtenden Blick, und er hatte das Gefühl, seinem Tod gerade einige Zentimeter näher gekommen zu sein. Aber es war ihm egal, ob er sie kränkte oder nicht. Er hasste die arrogante Selbstsicherheit in ihrer Stimme. Sie mochte damit zufrieden sein, hier zu leben, aber er wollte sich nicht damit abfinden.
»Versucht? Nein, das habe ich nicht. Wo sollte ich auch beginnen?« Sie starrte ihn weiter an. »Nach einer Weile gibt es nur noch das Überleben. Das ist alles, woran man denken kann.«
»Wie lange sind Sie schon hier?«, fragte Cushing. »Sie sagten, es seien Jahre, aber ...«
»In welchem Jahr sind Sie zu den Bermudas aufgebrochen?«, brachte George es auf den Punkt.
»Welches Jahr? Nun, ich erinnere mich noch gut daran. Es war März, die zweite Märzwoche 1907.«
Das saß wie ein Faustschlag, und jetzt waren sie es, die sie mit weit aufgerissenen Augen und Mündern anstarrten.
»Allmächtiger«, keuchte George. »1907? Mein Gott ...«
Plötzlich war da eine Verwundbarkeit in ihr, sie sah verloren und verwirrt aus, und ganz bestimmt war sie das auch. Sie kaute auf ihrer Unterlippe. »Ich ... ich bin schon sehr lange hier, nicht wahr?«
10
»Das ist alles zu viel für mich«, verkündete Menhaus. »Ich bin nicht dafür geschaffen, das weiß ich jetzt. Ich habe mitgespielt und mein Bestes gegeben, weiß Gott, aber ich halte es nicht mehr aus.«
»Komm schon«, meinte Fabrini, »du kannst jetzt nicht aufgeben.«
»Und warum nicht?«
Darauf konnte Fabrini keine gute Antwort geben. Cook hätte vielleicht eine gehabt, aber ihm selbst fehlte die Gabe, immer die richtigen Antworten auf die richtigen Fragen zu finden. »Weil du es verdammt noch mal nicht kannst, deshalb.«
Sie saßen auf dem Deck des Fischerboots – eines alten Seitentrawlers aus Florida, wie sie den Papieren im Ruderhaus entnommen hatten – und unterhielten sich über ihre Lage, jetzt, da Cook weg war und sie wieder unter Saks’ Fuchtel standen, was keiner von ihnen sonderlich genoss. Saks lag unten in der Kapitänskajüte und schlief. Crycek lag in der Kabine daneben; er schlief nicht, sondern hatte sich wieder in eine seiner Trübsinnsphasen geflüchtet. In dem Zustand war er für die anderen unerreichbar. Und wenn er etwas sagte, dann prophezeite er nur Verderbnis und Verdammnis und Unheil aus dem Nebel.
»Ich traue Saks nicht«, verriet Menhaus. »Mit Cook hatten wir eine Chance, eine echte Chance, glaube ich – aber jetzt sind wir verloren. Das Einzige, was Saks interessiert, ist er selbst.«
Was für eine überraschende Feststellung. »Stimmt, und das ist auch nie anders gewesen. Er ist nun mal ein Arschloch. Aber ich sage, wir spielen mit und warten ab, was dabei rauskommt. Saks will der Große Zampano sein? Okay, soll er doch. Geben wir ihm den Ball und schauen, ob er ein Tor schießt.«
Menhaus nickte verdrießlich. »Aber ich glaube, mit Cook hatten wir eine Chance. Ich bin mir sicher, dass wir eine echte Chance hatten.«
Fabrini erinnerte sich nicht gern an Cook. Er hatte Cook vertraut, ihn gemocht. Sein Tod war nicht leicht gewesen, und mit der Erinnerung daran zu leben, fiel kaum leichter. »Saks hat einen Plan«, sagte Fabrini.
»Hat er?«
»Sicher. Er plant etwas. Ein Typ wie Saks plant immer.« Er fasste noch einmal zusammen, was Saks gesagt hatte. »Also, wir machen es so: Wir warten, bis der Nebel sich lichtet, bis der Tag, oder wie immer das hier heißt, kommt. Und dann
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