Dead Souls: Horror (German Edition)
Sie bewegte die Lippen, und eine Stimme, die kaum als ihre zu erkennen war, schrie: »Keine Macht dem Feind! Ich flehe dich an, lieber Gott des Himmels, Gott der Erde, Gott der ganzen Schöpfung … rette ihn … rette … ihn …«
Kapitel 11
24. August 1988
06:43 Uhr
Die Conroy-Familie verließ das Haus, Benjamin voraus, gefolgt von Faith, Elizabeth und dann Daniel. Bryan, der jetzt in eine graue Decke gewickelt war, lag ruhig in Benjamins Armen. Pilate, der Familienhund – ein schwarzer Labrador – war am Kellerschacht außerhalb des Hauses angeleint. Er lag seitlich am Boden, räkelte die Zunge heraus und schaute sie neugierig an.
Die Familie lief ungefähr 300 Meter in den Garten hinter dem Haus. Als Benjamin stehenblieb, stellten sich alle neben ihm auf und schauten die Scheune an, die nicht weit vor ihnen zu sehen war.
Benjamin starrte auf die alte Holzstruktur, deren einst gepflegte rote Oberfläche zu einem schäbigen Rosa verblasste und sich in hässlichen Flecken ablöste. Er lächelte. Mein Heiligtum. Es … verändert … sich …
Und so schien es. Die tiefstehende Ostsonne breitete ihre goldenen Strahlen über den gesamten Garten aus, dabei erfasste sie die Scheune in ihrem unbeschädigten Glanz. Jetzt schien die beschädigte weiße Verkleidung und das wackelige Gebäude eine neuentdeckte Kraft anzunehmen, seine Hässlichkeit strahlte kräftig in das frische Tageslicht. Alles in ihrer Umgebung – das wuchernde Gras, das Unkraut überall, die Löwenzahnblumen – erschien brutal reich und saftig, höchst aromatisch.
Der Morgen war heiß und schwül, schlimmer, als es den ganzen Sommer gewesen war. Perfekte Bedingungen für das Ritual , sinnierte Benjamin. Unter seinem Gewand fühlte sich seine Haut feucht an, sie klebte in klammen Flecken an dem heißen schwarzen Stoff. Hinter der Scheune zog aus dem Wald, der sich fast 30 Kilometer bis zu den Vororten von Skowhegan erstreckte, ein rauchiger Nebelschleier auf, niedrig und dicht. Während er um die Scheune sickerte, erfasste die ganzen Grenzen wie eine aufkommende Flut. Er trug einen sauren Duft nach brennendem Holz mit sich, der Benjamin sofort in die Nase stieg.
»Der Herr Jesus Christus hat uns einen herrlichen Tag geschenkt, damit wir Bryans Treue Osiris gegenüber einleiten können.« Die Luft schien Benjamins Worte einzusaugen, und genau in diesem Moment stellte er fest, dass auf der Farm absolut nichts zu hören war: Kein Vogelgezwitscher, kein Hahnenkrähen, keine eingepferchten Ziegen oder Schweine, die nach ihrem Futter plärrten. Sogar Bryan blieb in den Armen seines Vaters still. Das Einzige, was Benjamin hören konnte, war das stetige Rascheln des heißen Sommerwinds, als er durch die weit entfernten Weizenfelder wehte.
Als Benjamin seinen Verstand auf das Ritual vorbereitete, vergingen Augenblicke. Die grüblerische Stille wurde unterbrochen, als er den metallischen Klang von Kuhglocken hörte. Das Geräusch schien aus der Scheune zu kommen. Er stand regungslos da und lauschte. Es schlug 13 Mal, dann hörte es auf.
»Die Glocke hat geläutet. Es ist Zeit«, meinte er.
Ohne ein Wort zu sagen, ging Benjamin auf die Scheune zu, dabei ging er über Fingerhirse und durch mit Tau bedeckten Löwenzahnblumen. Seltsamerweise verursachten nicht einmal die Schritte Geräusche, sie waren offenbar in dem außergewöhnlichen Vakuum gefangen, das alles in der Umgebung abschöpfte.
Er erreichte die Scheunentür, die verschlossen war. Er untersuchte seine Umgebung mit einem Blick nach links und dann nach rechts. Sie war ihm natürlich bekannt … aber hatte eine ungewöhnlich exotische Erscheinung angenommen, als hätte er ein altes sepiafarbenes Foto betreten – die lebendigen Farben von vorher waren auf mysteriöse Weise verschwunden, und als er nach oben schaute, sah er eigenartig bräunlich geformte Wolken am Himmel aufziehen.
Bevor Benjamin über die plötzliche Veränderung in der Atmosphäre nachdenken konnte, unterbrach ein Flattern am Himmel die gespenstische Stille. Er sah, wie sich eine einzige Amsel auf den First der Scheune setzte. Der Vogel hüpfte herum, um eine stabile Landeposition zu finden, dann schaute er mit seinen winzigen Augen nach unten und sträubte seine Federn, als wäre ihm Benjamins Anwesenheit und das Ereignis, das gleich stattfinden würde, bewusst.
»Osiris’ Bote ist hier«, verkündete Benjamin und fühlte sich eigenartigerweise eingeschüchtert. Das perfekte Umfeld für die Ankunft des Geistes ,
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