Dead Souls: Horror (German Edition)
… es sah anders aus als die anderen. Dieses bewegte sich nicht, sprach oder atmete nicht einmal. Nein. Es schwang. Hin und her. Und es gab ein Geräusch von sich, das ihm dumpfe, starke Schmerzen im Kopf bereitete.
Bumm … bumm … bumm …
Kapitel 20
07. September 2005
18:13 Uhr
Endlich bog der Bus von der Interstate ab. Der Regen hatte sich zu einem Nieseln verringert, und durch die Tropfen auf der Frontscheibe konnte Johnny das Schild am Ende der Abfahrt erkennen: Wellfield – 20 Kilometer. Der Bus bog nach rechts ab, und Johnnys Körper lehnte sich nach links in den leeren Sitz neben ihn.
Als der Bus vor Stunden die Grand Central Station verlassen hatte, war er bis auf den letzten Platz besetzt gewesen. Aber nach dem Halt in Boston hatte er ungefähr 80 Prozent seiner Passagiere aussteigen lassen – die meisten von ihnen waren Collegestudenten, die die Pullover ihrer Studentenverbindungen trugen und ihre randvoll mit Büchern gefüllten Rucksäcke schleppten. Hätten Ed und Mary den Weg der meisten anderen Eltern eingeschlagen, dann wäre er jetzt auch in der Schule, wo das Herbstsemester anfing.
Das allgemeine Umfeld im Bus dominierten eindimensionale Unterhaltungen darüber, wer mit wem herumgemacht hatte, welche Vorlesungen angeboten wurden und so weiter. Johnny hatte das große Glück gehabt, einen stillen anspruchslosen Mann im Nebensitz zu haben, der genauso wenig interessiert daran war, mit Johnny ein Gespräch anzufangen wie er. Nach einem zweistündigen Nickerchen stieg der Mann mit allen Collegestudenten in Boston aus. Der Bus stand dann ungefähr 15 Minuten lang still, das gab Johnny genug Zeit, seine Muskeln zu strecken und eine Pinkelpause in der Toilette des Busbahnhofs einzulegen. In Boston stiegen acht Passagiere zu, die sich Johnny und den vier weiteren mit Reisezielen weiter nördlich anschlossen. Kurz danach war der Bus wieder unterwegs und fuhr durch den Regen in Richtung Skowhegan, Maine, mit ein paar Boxenstopps in Kleinstädten, die auf dem Weg lagen.
Der Bus fuhr auf der kurvigen Landstraße langsam und Johnny war dankbar, bei diesem Schneckentempo die Landschaft auf sich wirken zu lassen, trotz der Schatten des Regens und der zunehmenden Dunkelheit. Das alles leistete eine anständige Arbeit, ihn von der schrecklichen Wahrheit abzulenken, die aus seinem Leben geworden war: Sein Vater war tot und hing aller Wahrscheinlichkeit nach immer noch dort, der Ledergürtel jetzt tief in das fette Fleisch seines Halses gebohrt, während der Wind seine schwingende tote Masse zum tausendsten Mal gegen die Wand drückte; seine Mutter, allein und gerade im Krankenhaus versauernd, schlotterte vor unerklärlicher Angst vor der Zukunft, die mit ihrer geheimen Vergangenheit zu tun hatte, und war immer noch völlig in Unkenntnis über die Tragödie, die sie zu Hause erwartete.
Meine Eltern … tot.
Trotz ihrer Eigenarten – Marys strenger Methoden der Kindererziehung und ihrer von Gott gesteuerten Prinzipien; Eds gleichgültiger Einstellung ihm gegenüber – liebte er sie dennoch. Sie waren seine Eltern und sie hatten ihn großgezogen, immer dafür gesorgt, dass er Essen auf dem Tisch und ein Dach über dem Kopf hatte.
Aber jetzt stellte er mit großem Entsetzen fest, dass scheinbar nichts mehr davon eine Rolle spielte. Sein Vater hatte Selbstmord begangen. Seine Mutter war so gut wie tot, terrorisiert von ihren persönlichen Dämonen. Keine Menschenseele würde je wissen, dass er vermisst wurde, abgesehen von seiner Mutter, die vielleicht oder vielleicht nicht vermuten konnte, wohin er verschwunden war.
Keine Frage. Die Vergangenheit war Geschichte geworden. Ihre ganzen ehemals aktiven Einzelheiten tot und begraben. Jetzt war er geradewegs dabei, ein kühnes, neues Leben anzufangen, eines ohne Ed und Mary Petrie.
Johnny setzte sich auf und holte sein einziges Gepäckstück aus dem Fach über ihm, als der Bus in den Parkplatz des Wellfield Inns an der Farland Avenue einbog. Er steckte einen Daumen in die Gesäßtasche – ein Vorgang, der zu einer exzessiven Angewohnheit geworden war – und tastete nach Judsons Brief: Seiner Freikarte aus dem Gefängnis . Nachdem er aus dem Appartement geflohen war (und ein Ohr an die Wand im Flur gehalten hatte, um zu schauen, ob er Eds baumelnden Körper hören konnte; er konnte es nicht), erwischte er den Siebener-Zug zur Grand Central Station. Sobald er dort war, holte er den Brief heraus und rief Andrew Judson per R-Gespräch von einem öffentlichen
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