Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
Wohnzimmer war. Sie durchquerte die Eingangshalle und eilte geräuschlos auf nackten Sohlen die Treppe hinauf. Oben knarrte eine Diele, als sie den Flur entlangging. Jack hörte, wie sich eine Tür öffnete und wieder schloss, dann sah er, wie ein Kissen und ein Schlafsack die Treppe hinabgeworfen wurden. Der Schlafsack flog gegen die Tür des Einbauschranks in der Halle, das Kissen rutschte über den Boden und blieb beim Sofa liegen.
»Danke«, rief er die dunkle Treppe hinauf.
»Keine Ursache.« Im nächsten Moment ertönte das unverkennbare Knarren der sich öffnenden Schlafzimmertür, die dann leise geschlossen wurde. Das Schloss klickte. Augenscheinlich ging Cissy kein Risiko ein und wollte verhindern, dass er sich in ihr Doppelbett schmeichelte.
So blauäugig war er nicht.
Er hob den Schlafsack auf, entrollte ihn und warf ihn auf das glatte Leder des Sofas. Dann legte er sich das Kissen ans Kopfende und betrachtete sein Werk. Nicht gerade toll, aber doch besser als ein Schlafplatz im Auto, dachte er, ging in die Küche, nahm sich das letzte Bier aus dem Kühlschrank und öffnete die Flasche. Nachdem er einen großen, wenn auch nicht allzu genussreichen Schluck getrunken hatte, trug er die knurrende, misstrauisch blickende Coco nach draußen, setzte sie auf den Rasen vor der Terrasse und wartete im kalten Nieselregen, bis der verdammte Hund jeden einzelnen Strauch beschnüffelt und endlich sein Geschäft erledigt hatte.
»So habe ich es mir eigentlich nicht vorgestellt«, vertraute er Coco an, trug sie ins Haus und wischte ihr mit einem Geschirrtuch die nassen, kleinen Pfoten ab. Trotz all seiner Bemühungen erntete er nur ein warnendes Knurren. Einen Moment lang glaubte er sogar, das streitlustige kleine Fellbündel wolle ihn tatsächlich beißen. »Komm bloß nicht auf die Idee«, warnte er, und als er den Hund wieder auf den Boden setzte, beeilte der sich, von ihm wegzukommen, und glitt beinahe aus, als er zur Treppe huschte und hinauflief, als wäre er bedeutend jünger und müsste um sein Leben fürchten.
»Ja, hau bloß ab«, knurrte Jack.
Mit einem letzten Blick ins dunkle Treppenhaus ging er zurück ins Wohnzimmer, warf sich aufs Sofa und griff nach der Fernbedienung. Belustigt dachte er daran, wie sehr er früher am Junggesellenleben gehangen hatte. Als verheirateter Mann, in seinem eigenen Haus, lebte er jetzt auch nicht gerade anders.
Er schaltete die Nachrichten ein, und auf dem Flachbildschirm erschien das letzte Bild, das seine Frau von ihrer Mutter besaß: Marla Amhurst Cahills Fahndungsfoto.
Du bist bescheuert!
Cissy schälte sich aus ihren Kleidern, ließ sie zu Boden fallen und schlüpfte in den Pyjama, der ihr im Lauf des letzten Monats um mindestens eine Nummer zu groß geworden war. Sie hatte keinen Appetit; der Stress der Trennung von Jack hatte sie zehn Pfund gekostet, was sie sich im Grunde überhaupt nicht leisten konnte.
Und jetzt war er dort unten.
Toll!
Dumme, dumme Gans. Heute auf dem Sofa. Morgen hier im Schlafzimmer? Und was dann? Willst du ihm einfach so verzeihen? Dir weiteren Kummer einhandeln? Dich mit Beejay für den Rest eures Lebens auf ein Karussell der Emotionen einlassen? Das darfst du nicht, Cissy. Ganz gleich, wie sehr du es dir wünschst. Jack Holt ist eine Spielernatur, schlicht und ergreifend. Mag sein, dass er niemals die Absicht hatte, dich zu kränken, aber wenn du ihn lässt, dann wird er dir immer wieder das Herz brechen.
Sie durfte es nicht zulassen. Sie würde es nicht zulassen.
So einfach war das.
Sie suchte das kleine Bad auf, das sie und Jack in einem früheren Bodenraum eingerichtet hatten, putzte sich die Zähne und sah in ein Gesicht, das sie kaum wiedererkannte. Ihre Augen, golden wie Whiskey, wie Jack zu sagen pflegte, waren von zerlaufener Wimperntusche gerändert, das Weiße darin war nach wie vor von roten Adern durchzogen, vom vielen Weinen, seit sie ihre Großmutter tot im Foyer gefunden hatte. Ihre Nase glänzte rot, auf ihrem Kinn wagten sich ein paar Pickel heraus, und ihre Wangenknochen traten stärker hervor denn je. Sie wusch die Make-up-Reste ab, suchte in einer Schublade nach Aknesalbe, für die sie eigentlich entschieden zu alt war, und gab die Suche wieder auf, als sie Coco an der Tür kratzen hörte.
»Momentchen«, rief sie und durchquerte das Schlafzimmer.
Sie öffnete die Tür, rechnete halb damit, Jack auf der Schwelle vorzufinden, die Schulter gegen den Türrahmen gelehnt, ein unbezähmbares Lächeln in den
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