Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
warf sie es zurück auf den Nachttisch und knipste das Licht aus. Coco schnarchte bereits zufrieden, doch Cissy starrte im Dunkeln an die Decke.
Die Polizei nahm tatsächlich an, dass ihre Großmutter ermordet worden war.
In genau der Woche, in der ihre Mutter aus dem Gefängnis ausgebrochen war.
Sie schauderte, zog sich die Decke bis zum Kinn und blickte aus dem Fenster, wo die Straßenlaterne eine Stelle auf dem Gehsteig beleuchtete. Draußen stand kein Polizeiauto, doch es regnete unentwegt, und eine Sekunde, einen Herzschlag lang glaubte sie, im wässrigen Lichtschein der Laterne verschwommen eine dunkle Gestalt zu sehen, die sowohl ein Mensch als auch ein Produkt ihrer Phantasie sein konnte.
Ein Schauer der Angst lief Cissy kalt über den Rücken; ihr Herz setzte einen Schlag aus.
Du bildest dir Dinge ein.
Trotzdem stieg sie aus dem Bett, trat im Dunkeln seitlich ans Fenster und spähte, hinter dem Vorhang verborgen, hin aus in die feuchte Nacht. Der Lichtschein der Nachbarhäuser hätte ihr ein Gefühl der Sicherheit geben müssen. Die Tatsache, dass Jack im Wohnzimmer schlief, hätte sie beruhigen sollen.
Ihre Finger krallten sich in den Vorhang, während sie in die Nacht hinausblickte.
Dort ist niemand. Sieh doch … Da ist nichts.
Doch ihre Kehle war so trocken, dass sie krampfhaft schlucken musste. Nur mit Mühe widerstand sie dem Drang, Jack zu rufen.
Sie dachte an Marla und starrte auf die Stelle, wo sie jemanden gesehen zu haben glaubte.
Wo war Marla?
Hier?
6
Das Sofa eignete sich überhaupt nicht zum Schlafen.
Zum Sitzen war es prima.
Toll zum Fernsehen.
Perfekt zum Knutschen.
Aber um eine ganze Nacht darauf zu schlafen, nein.
Jack erwachte mit verspanntem Nacken und einem üblen Geschmack im Mund. Er wagte es nicht, nach oben zu gehen und seine Frau zu wecken, deshalb benutzte er das kleine Bad neben der Eingangshalle und putzte sich die Zähne mit Hilfe des Zeigefingers und etwas Seife aus dem Spender.
Er überlegte, Kaffee zu kochen und Cissy einen Becher davon ans Bett zu bringen. Vielleicht fand er sogar eine künstliche Blume, die er sich zwischen die Zähne klemmen konnte, um sie zum Lachen zu bringen. Doch er besann sich eines Besseren. Teil ihres Abkommens war, dass er verschwand, bevor sie aufwachte. Cissy war kein »Morgenmensch« und immer noch viel zu sauer auf ihn, um ihm schon verzeihen zu können. Er ging in die Küche, mahlte Kaffeebohnen, suchte den Filter und goss eine Kanne voll Wasser in den Behälter. Mit einem Knopfdruck setzte er die Maschine in Gang.
Als die ersten duftenden Tropfen in die Kanne liefen, klingelte sein Handy. Er klappte es auf und sah den Namen und die Nummer seiner Schwester. Kein gutes Zeichen. Er erwog, das Gespräch einfach nicht anzunehmen, wusste jedoch, dass sie sich nicht würde abwimmeln lassen. Jannelle – groß, blond und fünf Jahre älter als Jack – hatte als Model gearbeitet, bevor sie ihre eigene Schule für Mädchen gründete, die schnellstens auf den Laufsteg wollten. Wenn sich Jannelle etwas in den Kopf gesetzt hatte, verfolgte sie es mit einem absoluten Tunnelblick und war unerbittlich. Ein Anruf um sechs Uhr morgens bedeutete jedenfalls nicht, dass sie nur »Guten Tag« sagen wollte. Sie hatte ganz sicher eine konkrete Mission.
»Hi, Jannelle«, sagte er im Flüsterton, um seine Frau, sein Kind oder den ewig kläffenden Hund nicht zu wecken.
»Was ist mit Cissys Großmutter? Sie soll ermordet worden sein?«, fragte Jannelle.
So war sie, sie redete nicht lange um den heißen Brei herum. »Guten Morgen.«
»Du weißt doch Bescheid, oder? Sie bringen es in sämtlichen Nachrichten! Himmel, Jack, ist Eugenia Cahill tatsächlich ermordet worden?« Es klang nervös, angstvoll. Er hörte sie scharf einatmen, dann folgten die unverkennbaren Geräusche des Zigaretteanzündens, obwohl sie vor sechs Monaten aufgehört hatte zu rauchen.
»Das scheint man momentan anzunehmen«, sagte er und lehnte sich mit der Hüfte an den Küchenschrank. Der Kaffee lief durch, sprudelte und zischte und erfüllte den Raum mit warmem, aromatischem Duft.
»War’s Marla? Hat sie ihre Schwiegermutter umgelegt?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wie ist es passiert?«
»Ich weiß es wirklich nicht, Jannelle. Ende des Verhörs.«
Er hörte selbst, wie er laut wurde vor Gereiztheit, und bemühte sich, leiser zu sprechen. »Es ist noch früh. Beruhige dich. Soviel ich weiß, könnte Eugenia auch die Treppe hinuntergestürzt sein. Es sieht zwar nicht so
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