Deadline - Rache, wem Rache gebuehrt
an die Frau dachte, die sie zur Welt gebracht hatte. Ob sie so anders war als diese Psychopathin? Als ihre eigene Mutter?
Doch sie mochte jetzt nicht an sie denken.
Nicht heute.
Cissy wandte sich wieder Cherise und ihren großen, flehenden Augen zu. »Und wie gedenkst du diese, hm, ›Kluft‹ zu überbrücken?«, fragte Cissy, um einen nicht übermäßig sarkastischen Tonfall bemüht und getrieben von dem Wunsch, sich diesem Gespräch irgendwie entziehen zu können.
»Zuerst einmal sollten wir ein Familientreffen veranstalten«, sagte Cherise, und ihr Blick suchte Bestätigung bei ihrem Mann. Das war Cherise’ Problem. Sie war im Grunde gar nicht so übel. Nur schwach. Verließ sich stets auf ihren Mann und sah ihn an, als wäre er die Verkörperung der Wiederkunft des Herrn.
Sie erinnerte sich nicht an alle Einzelheiten, doch in Donald Faviers Vergangenheit gab es dunkle Punkte, etwas, was weniger mit Football und eher mit minderjährigen Mädchen zu tun hatte. Oder? Cherise störte es offenbar nicht, denn sie sah Reverend Donald voller Verehrung an und schob ihren Arm unter seinen.
Donald nickte. »Danach könnten wir uns eher offiziell mit den Anwälten der Familie treffen. Es gibt noch ein paar offene Fragen, die geregelt werden müssen.«
»Was für Fragen?«, erkundigte Cissy sich verhalten.
»Oh.« Cherise zuckte mit den Schultern. »Du weißt schon, das Familienvermögen und so. Da du ja jetzt die Bevollmächtigte bist.«
»Ich bin die Bevollmächtigte?«
»Na ja, du bist Tante Genies hauptsächliche Begünstigte.«
»Ach ja?«, fragte Cissy. »Und das weißt du … woher?«
Donald lächelte und streckte die geöffneten Hände aus.
Mehrere goldene Ringe blitzten im Licht auf. »Wir haben natürlich bereits mit den Anwälten gesprochen.«
»Ah …«
Sein Tausend-Watt-Lächeln war nahezu ansteckend. »Wir sind schließlich eine Familie.«
Cissy blickte erneut in Cherise’ beinahe verzweifeltes Gesicht, ein Gesicht, das trotz des vermutlich letzten Schreis in Sachen Schönheitschirurgie unübersehbar alterte. »Weißt du, du hast recht: das hier ist peinlich, und wir sollten nicht darüber reden.«
»Aber wir müssen.«
»Das glaube ich nicht.« Je länger sie darüber nachdachte, desto weniger gefiel es ihr. »Und, nein, ich finde nicht, dass wir uns zum Mittag- oder Abendessen treffen sollten. Ich habe keine Lust, überhaupt über diese Sache zu reden. Jetzt nicht und wohl auch später nicht.«
Verblüfft griff Cherise nach ihrem Arm. »Cissy, bitte sei vernünftig. Wir wissen beide, dass längst nicht alles in Ordnung ist. Und zwar seit langer, langer Zeit. Ich dachte, du wärst anders und würdest …«
»Ich würde was? Dir einen Scheck ausstellen? Über wie viel? Zehntausend? Fünfzigtausend? Hunderttausend? Oder vielleicht sogar eine Million?« Sie wurde immer lauter angesichts der Unverfrorenheit dieser Frau und ihres angeblich so gottesfürchtigen Mannes. »Gran ist heute erst beerdigt worden, wir haben uns hier zur Trauerfeier getroffen. Und schon kommst du auf ihr Testament zu sprechen und betreibst Leichenfledderei.«
»Oh, Cissy, nein …«
»Und weißt du, warum du das tust? Weil du glaubst, du könntest mich einfach überfahren. Weil du denkst, ich wäre zu jung, um dir gewachsen zu sein, und dir«, sagte sie und sah den Reverend wütend an. »Nun, da irrt ihr euch beide.« Cherise schlug die Hand vor den Mund, und Heather, die gerade vorüberging, blieb abrupt stehen. »Ist alles in Ordnung?«, fragte sie.
»Alles bestens«, knurrte Cissy.
»Sicher?«, fragte Heather und zog die glatte Stirn kraus.
»Es ist alles in Ordnung«, sagte Cherise’ Mann gepresst und fügte hinzu: »Danke der Nachfrage, Heather.«
Cissys Blick ging von einem zum anderen. »Kennt ihr euch?«
Heather mit ihren blauen Augen, der tiefen Sonnenbräune, den hellen, platinblond gesträhnten Haaren und keinem Gramm Fett am Körper sah aus wie das sprichwörtliche Mädchen aus Kalifornien. Sie und Cissy hatten sich auf der Universität von Südkalifornien kennengelernt, und jetzt unterrichtete Heather an einer Grundschule in der Nähe von San Francisco.
»Wusstest du das nicht?«, fragte Heather verwundert. »Ich bin Mitglied der Dreifaltigkeitsgemeinde. Ich wohne nur ein paar Blocks von der Kirche entfernt.«
»In Sausalito?«, fragte Cissy nach und zählte zwei und zwei zusammen. Sie wusste, dass Heather auf der anderen Seite der Golden Gate Bridge wohnte, hatte aber nicht geahnt, dass sie zu
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