Deadline - Toedliche Wahrheit
finden oder dich umbringen zu lassen, ja?
Die Anhänge enthalten alles über meine Arbeit, um die Struktur von Kellis-Amberlee mit den ungewöhnlichen Autoimmunerscheinungen in Beziehung zu setzen, die zur Ausbildung stabiler Reservoirkrankheiten führen. Ich verfüge über keine Möglichkeit, sie zu heilen oder sie bei erwachsenen Testpersonen zuverlässig herbeizuführen, aber es gibt mehr als genug Beweismaterial dafür, dass Reservoirkrankheiten die Folge davon sind, dass das Immunsystem lernt, sich unter angeblich unmöglichen Bedingungen zu verteidigen. Der Großteil der Forschungsergebnisse wird dir wahrscheinlich nichts sagen, aber für die kleine Hofschranze, die uns miteinander bekannt gemacht hat, dürften sie absolut nachvollziehbar sein. Sorg dafür, dass sie sich die Daten ansieht! Sag ihr, dass du alles öffentlich machst, wenn du den Eindruck hast, dass sie etwas vor dir zurückhält! Mal sehen, was sie dir danach erzählt.
Du bist ein mutiger Dummkopf, Shaun Mason, und es tut mir leid, dass ich deine Schwester nie kennengelernt habe. Fast so leid wie dass du meinen Mann nie kennengelernt hast. Grüß den Rest der Bande und sag ihnen, dass sie mit einem offenen Auge schlafen sollen, denn du bist derzeit voll dabei, ein paar verdammt wichtige Leute zu verärgern. Schön für dich. Mach weiter so! Irgendjemand muss es tun.
Alles Gute, und halt dich verdammt noch mal fern von mir,
Dr. Shannon L. Abbey
Ein kurzer Anflug von Schuldgefühlen flackerte in mir auf, als ich darüber nachdachte, dass das Gespräch mit uns Dr. Abbey ihr Labor gekostet hatte. Aber sie hatte gewusst, was sie tat, als sie uns reingelassen hatte. Sie mochte uns nicht eingeladen haben, aber sie war sehr gesprächig und mitteilsam gewesen, als wir erst einmal da gewesen waren. Wenn sie uns keinen Vorwurf daraus machte, dass wir zu ihr gekommen waren, dann würde ich auch kein schlechtes Gewissen deshalb haben.
Die Anhänge ihrer Nachricht wurden beim Runterladen als sauber ausgewiesen, und als ich sie öffnete, sah ich endlose Tabellen und Grafiken mit medizinischen Daten, die in meinen Augen etwa so viel Sinn ergaben wie abstrakte Kunst. Ich erkannte ein paar Beschriftungen, aber das war auch alles. Nicht weiter schlimm, denn Dr. Abbey hatte recht: Es kam nicht darauf an, ob ich ihre Forschungsergebnisse verstand. Es kam darauf an, ob Kelly ihre Forschungsergebnisse verstand, und wenn sie sie erst einmal gesehen hatte, würde sie vielleicht wissen, wo wir weitersuchen mussten. In unserer Lage mussten wir über jede Kleinigkeit froh sein.
Ich leitete Dr. Abbeys Nachricht als dringend an Alaric und Mahir weiter, druckte die Anhänge aus und fuhr dann damit fort, mein Postfach aufzuräumen. Von dem Rest war nichts auch nur annähernd so interessant wie diese Nachricht, was keine große Überraschung war. Nach »hier sind meine Forschungsergebnisse über Kellis-Amberlee, viel Spaß damit« konnte nicht mehr viel kommen.
Laut der Log-in-Daten unserer Website war Mahir derzeit angemeldet, also war er wohl wach. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück, holte mein Telefon heraus und klappte es auf.
Das Glück war mir hold: Mahir und nicht seine Frau ging ran. »Shaun. Gott sei Dank!«
»He, Mahir. Gibt es einen Grund, warum du jedes Mal, wenn ich mich bei dir melde, himmlische Mächte anrufst? Sagt man heutzutage in London so Hallo?«
»Verdammt noch mal, es ist vier Uhr morgens, Shaun, und ich bin wach und nehme deinen Anruf entgegen. Daran kannst du sehen, was für Sorgen ich mir gemacht habe.« Im Hintergrund schlug eine Tür zu, und entfernte Verkehrsgeräusche drangen durch den Hörer. »Versuch daran zu denken, dass ich acht Stunden hinter deiner Zeitzone bin, und gib mir das nächste Mal ein bisschen eher Bescheid, wie es dir so geht, ja?«
»He, tut mir leid, Mann. Ich dachte, Alaric würde dich auf dem Laufenden halten.« Ein Londoner Magazin hatte nach Rymans Wahl ein Profil von Mahir gebracht – immerhin kam er aus London und war in einen großen politischen Skandal in Amerika verwickelt gewesen. Das Bild zum Artikel zeigte ihn auf dem breiten Balkon vor seiner Wohnung, von wo aus er mit diesem ernsten, intellektuellen Künstlerblick, über den George und ich uns immer lustig gemacht hatten, auf die Themse sah. Das war das Bild, das ich jetzt vor Augen hatte, als ich die Verkehrsgeräusche hinter ihm hörte: Mahir auf dem Balkon, umgeben von der schweren Londoner Nacht, während unten Autos voller paranoider Pendler
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