Deadline - Toedliche Wahrheit
vorbeisausten.
»Das hat er. Magdalene auch. Aber wenn es um die Frage geht, in welcher Verfassung du bist, vertraue ich letztlich nur dir selbst, Shaun.«
»Ich würde mich geschmeichelt fühlen, wenn ich nicht wüsste, dass du mit meinem Ableben gerechnet hast.«
»Ist das nicht auch deine Absicht?«
Ich hielt einen Moment lang inne, und mit einem Mal wurde mir Georges schweigsame Anwesenheit in meinem Hinterkopf deutlich bewusst. Mahir anzulügen grenzte an ein Ding der Unmöglichkeit, selbst wenn George es zulassen würde, und letztlich wollte ich es gar nicht erst versuchen. »Früher oder später ja. Aber erst wenn wir Georges Mörder gefunden haben. Hast du die Dateien bekommen, die ich dir geschickt habe?«
»Ja«, gab Mahir zu. »Wie viel davon hast du verstanden?«
»Nicht genug. Ich schätze, dass du ein bisschen mehr kapiert hast.«
»Genug, um zu befürchten, dass ich nie wieder ein Auge zutun werde.«
»Das ist gut – es bedeutet, dass die Dateien das enthalten, was Dr. Abbey von ihnen behauptet. Du musst etwas für mich tun.«
»Und das wäre?«
»Du musst einen Virologen finden, der nichts zu verlieren hat, damit er ihre Arbeit überprüft.«
Jetzt war es an Mahir, für einen Moment in Schweigen zu verfallen. Schließlich fragte er vorsichtig: »Ist dir klar, worum du mich da bittest?«
»Ja, durchaus. Ich komme mir dabei wie ein Riesenarschloch vor, aber ich bitte dich trotzdem darum.«
Mahir verstummte erneut. Ehrlich gesagt konnte ich ihm keinen Vorwurf daraus machen.
Nordamerika hatte im Laufe des Erwachens eine Menge Land verloren. Große Teile von Kanada und die südlichen Gebiete von Mexiko sind niemals zurückerobert worden. In Alaska haben wir so lange wie möglich die Stellung gehalten, aber letztlich war das Virus zu übermächtig, und wir mussten den ganzen Bundesstaat aufgeben. Fast überall in den Vereinigten Staaten gibt es kleine Todeszonen, Orte, die einfach zu gefährlich sind, um sie sich zurückzuholen. Doch nichts von alledem ist vergleichbar mit dem, was Indien verloren hat. Denn Indien … hat Indien verloren.
Die Verhältnisse im alten Indien waren geradezu eine perfekte Versuchsanordnung für die pandemische Verbreitung von Kellis-Amberlee. In meiner Schulzeit war das Land ein Lehrbuchbeispiel in Epidemiologie: Man nehme eine hohe Bevölkerungsdichte, weite landwirtschaftlich genutzte Bereiche, eine verseuchte Wasserversorgung und große, frei herumlaufende Tiere, dann hat man alle Voraussetzungen für den Untergang. Laut der Berichte – zumindest derjenigen, die es aus Indien herausgeschafft haben; viele waren das nicht – ist das Virus zuerst in Mumbai aufgetreten, wo innerhalb von weniger als sechsunddreißig Stunden totales Chaos auf den Straßen herrschte. Während Indien all seine Ressourcen darauf verwendete, die Hauptstadt zu retten, setzte die Infektion sich auf dem Land fest und eroberte die Dörfer und Kleinstädte so schnell, dass niemand Zeit hatte, Alarm zu schlagen. Als den ersten Leuten klar wurde, dass die Quarantäne niemals halten würde, war es schon viel zu spät für alles außer einer vollständigen Evakuierung.
Das erste tragbare Bluttestgerät war von einem indischen Wissenschaftler namens Kirna Patel entwickelt worden. Dr. Patel hatte seine Familie bei den ersten Anzeichen von Problemen isoliert. Er zog rasch die richtigen Schlüsse und ging mit tödlicher Gewalt gegen die Infizierten vor, und so überlebte er gegen alle Wahrscheinlichkeit eine sechs Tage währende Belagerung und konnte das gesamte mehrstöckige Wohngebäude gegen die Infizierung verteidigen. Wenn Dr. Patel gerade nicht Wache stand, beschäftigte er sich damit, seine Diabetikerausrüstung zu modifizieren, damit sie etwas sehr viel Entscheidenderes ermittelte als den Blutzuckerspiegel. Als die UN -Soldaten sich schließlich in sein Viertel vorkämpften, hatte er bereits eine primitive, aber zuverlässige Möglichkeit entwickelt, innerhalb von Minuten zu überprüfen, ob jemand infiziert war. Alle im Gebäude erwiesen sich als sauber. Zwei der Soldaten, die zur Rettung gekommen waren, allerdings nicht. Das war ein vertretbarer Verlust für ein technisches Gerät, an dessen Konstruktion bis dahin niemand sonst auch nur einen Gedanken verschwendet hatte.
Dr. Patel fiel aufgrund seiner Diabetes-Erkrankung an Bord des Helikopters, der ihn und seine Familie aus der Stadt brachte, in ein Koma. Er kam nicht lebend aus Indien heraus. Seine Witwe ging zur UN und verlangte im
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