Deadline - Toedliche Wahrheit
getestet. Wenn man mehr Zeit gehabt hätte zu verstehen, wie sie funktionieren, ehe man sie freigesetzt hat, bevor sie sich miteinander verbunden haben … aber die hatte man nicht, und der Geist war schon aus der Flasche, als die meisten Menschen noch nicht einmal wussten, dass es überhaupt eine Flasche gab. Es hätte schlimmer kommen können. Das ist es, was keiner zugeben will. Die Toten sind also auferstanden und rumgelaufen – na und? Dafür werden wir nicht mehr krank wie unsere Vorfahren. Wir sterben nicht an Krebs, obwohl wir weiter Schadstoffe in die Atmosphäre pumpen, und noch dazu ständig neue. Wir sind richtige Glückskinder, mal abgesehen von den verdammten Zombies, und selbst die müsste man nicht zu so einem Riesenproblem machen. Man könnte sie auch einfach als Unannehmlichkeit behandeln. Stattdessen lassen wir zu, dass sie unser ganzes Leben bestimmen.«
»Es sind Zombies«, sagte Becks. »Es ist ziemlich schwer, sie zu ignorieren.«
»Ist es das wirklich?« Dr. Abbey kraulte Joe weiter am Ohr. »Es wartet doch immer etwas Bösartiges hinter der nächsten Ecke, um einen umzubringen, seit jeher. Aber erst seit dem Erwachen nehmen wir es in Kauf, ein Leben in Angst zu führen. Ständig heißt es: ›Bleibt drin und lasst euch beschützen!‹ Durch diese Mentalität sind mehr Leute ums Leben gekommen als durch alle versehentlichen Infektionen der Welt zusammengenommen. Es ist, als wären wir alle süchtig nach der Angst.«
Frag sie nach den Reservoirkrankheiten , drängte mich George.
»George … ich meine, ich wüsste gerne, was die Reservoirkrankheiten mit alldem zu tun haben.« Meine Stimme klang fremd in meinen eigenen Ohren, als stellte jemand anders die Frage.
»Das Immunsystem kann lernen, mit praktisch allem zurechtzukommen, wenn es einem Erreger nur lange genug ausgesetzt ist. Wie hätten wir sonst so lange überleben sollen?« Dr. Abbey drehte sich zu mir um. Ihre dunklen Augen schauten erschöpft unter dem unordentlich blondierten Pony hervor. »Die Reservoirkrankheiten sind das Ergebnis der Versuche unseres Körpers, mit dem Virus zurechtzukommen. Einen Weg darum herum zu finden. Sie sind eine überschießende, unbequeme Immunreaktion, so wie die Autoimmunerkrankungen, die die Menschen vor dem Erwachen bekamen.«
So ziemlich alle Menschen mit Autoimmunerkrankungen waren im Laufe des Erwachens entweder gestorben oder hatten hinterher festgestellt, dass ihr Los sehr viel leichter geworden war, weil ihr Immunsystem seine Zeit nun auf etwas sehr viel Sinnvolleres verwendete als darauf, körpereigenes Gewebe anzugreifen: Stattdessen beschäftigte es sich mit dem Kellis-Amberlee-Virus, das seinerseits versuchte, alles, was ihm im Weg stand, auszulöschen. Ab und zu treten noch Autoimmunerkrankungen auf, aber sie sind nichts im Vergleich zu den Zahlen, die es gab, bevor das Erwachen die Welt der Medizin auf den Kopf gestellt hat.
Diese Fakten schossen mir durch den Kopf und fügten sich wie Puzzleteile passgenau in ein Gesamtbild. Kellys Überraschung über gewisse Dinge. Der verboten große Hund mit den induzierten Reservoirkrankheiten und die beiläufige Art, auf die Dr. Kelly erklärt hatte, dass er keine Virenvermehrung erleiden würde, als wüsste sie mit absoluter Sicherheit, wovon sie redete. Die Spinnen, die Insekten und die Riesenkraken mit ihren Greifarmen und den starr blickenden, fremdartigen Augen. All das ergab einen Sinn, wenn ich nur aufhörte, krampfhaft danach zu suchen.
Ich drehte mich zu Kelly um, ehe mir überhaupt bewusst wurde, dass ich mich bewegen wollte. Sie riss die Augen auf, wich einen Schritt zurück und drückte sich beinahe schutzsuchend an Maggie. Maggie bedachte sie mit einem verwirrten Blick und trat beiseite.
»Ich weiß zwar nicht, warum er so sauer ist, aber ich will ihm nicht in die Quere kommen«, sagte sie in beinahe mitfühlendem Ton. »Besser du als ich.«
Alaric und Becks schauten mich verwirrt an. Dr. Abbey drehte sich um und sah, wie ich auf Kelly zuging. Auf ihrer Miene war keine Spur von Verwirrung zu sehen, nur stille Befriedigung – einmal mehr der Ausdruck einer Lehrerin, deren Schüler die Lektion nun endlich begriffen hat.
»Die Reservoirkrankheiten sind eine Immunreaktion«, sagte ich. Ich fragte nicht. Das war nicht nötig. Ich sah die Bestätigung in Kellys aufgerissenen Augen. »Sie sind die Art, auf die der Körper mit der Kellis-Amberlee-Infektion fertig wird, nicht wahr?« Sie antwortete nicht. » Nicht wahr? «, brüllte
Weitere Kostenlose Bücher