Deadline - Toedliche Wahrheit
auf jedes miese rezessive Gen, auf jedes Risiko hin untersuchen lassen, für das es einen Test gibt – und die paar Sachen, deren Genotyp man nicht kennt, sind so verdammt selten, dass es zumindest interessant wäre, darüber zu schreiben, während ich daran sterbe. Ich habe kein dringendes Bedürfnis, die Familie zu finden, aus der ich hervorgegangen bin. Das Einzige, was ich auf dieser Welt habe, ist Shaun, und ich will auf keinen Fall das Risiko eingehen, ihn zu verlieren. Genau das täte ich aber, wenn ich losgehen und mir eine neue Familie suchen würde.
Ob die Masons uns nun vor dem sicheren Tod bewahrt haben – wie es in den Presseerklärungen heißt – oder ob sie uns gestohlen oder von mir aus auf dem Schwarzmarkt gekauft haben, es ist mir egal . Das Mädchen, das aus mir geworden wäre, wenn ich bei einer Mutter mit der gleichen Nase wie ich und einem Vater mit den gleichen komischen Zehen aufgewachsen wäre, hat es niemals gegeben. Dafür gab es mich. Ich war diejenige, die aufwachsen durfte, und zwar mit Shaun zusammen, und das ist das Einzige, worauf es mir ankommt. Wir haben Glück gehabt. Wenn er das nicht erkennt, tja … dann kann man ihn wohl nicht dazu zwingen.
Aber ich weiß trotzdem, dass es so ist.
Aus Postkarten von der Klagemauer , dem Nachlass von Georgia Mason, 13. Mai 2034.
Das Gute an Kellis-Amberlee ist, dass dieses Virus nur Säugetiere befällt. Ich meine, überlegt nur mal. Könnt ihr euch einen infizierten Riesenkraken vorstellen? Das wäre wie der Sea-World -Zwischenfall von2015 , nur diesmal mit extra Tentakeln. Kein schönes Bild, finde ich. Und wenn ihr damit kein Problem habt, wie wäre es damit: Das Gewicht eines durchschnittlichen Krokodils liegt ein gutes Stück über der Schwelle für eine Virenvermehrung.
Ja. Genau das meinte ich.
Das Schlechte an Kellis-Amberlee ist, dass es alle Säugetiere befällt. Von der kleinsten Feldmaus bis zum größten Blauwal (vorausgesetzt, dass irgendwo da unten noch einer übrig ist): Wenn es ein Säugetier ist, dann überträgt es das Virus. Das bedeutet, dass ein Heilmittel sinnvollerweise bei allen Säugetieren wirken muss, denn sonst besteht immer die Möglichkeit, dass Kellis-Amberlee mutiert und einen zweiten Anlauf startet. In dieser Beziehung sind Viren hinterhältig. Zumindest sind wir es gewohnt, mit dieser Form der Krankheit umzugehen. Ich bin mir nicht sicher, wie schnell wir uns anpassen könnten, wenn die Regeln sich ändern würden.
Aus Auf die Kwong-Tour , dem Blog von Alaric Kwong, 12. April 2041.
10
Draußen peitschte mir der Wind ins Gesicht. Die Tür zu Dr. Abbeys Labor schlug laut hinter mir zu. Taumelnd kam ich zum Stehen und begriff zwei Dinge gleichzeitig: erstens, dass ich mich allein mitten in einem größtenteils verlassenen Gewerbegebiet befand, und zweitens, dass ich zwar meine übliche Bewaffnung für Feldeinsätze dabeihatte, jedoch abgesehen von meiner Motorradkleidung keinerlei Panzerung am Leib trug. Auf diese Art konnte man sich ziemlich zuverlässig umbringen. So ein Verhalten wäre vielleicht zu entschuldigen gewesen, wenn ich so sehr durch den Wind gewesen wäre, dass ich überhaupt nicht mehr begriff, was ich tat, aber der Moment der ersten Verwirrung war vorbei. Mit schnellen Blicken suchte ich meine Umgebung nach Bewegungen ab, entdeckte jedoch nichts. Was ich allerdings sehr wohl entdeckte, war der Sendewagen, der wie eine Insel der Ruhe inmitten der Ruinen stand.
Ich machte einen weiteren Schritt vorwärts, ohne überhaupt richtig zu bemerken, was ich da tat. Dorthin hatte ich gewollt, als ich losgerannt war. Zu dem Wagen, in dem George und ich einander tausendmal das Leben gerettet hatten … wo ich abgedrückt und mit nur einer Kugel die Frau getötet habe, die meine Schwester war, meine beste Freundin und meine ganze, einzige Familie.
Sie wäre wieder gesund geworden , flüsterte Kellys Stimme in der Finsternis hinter meinen Augen, wo eigentlich nur George sein sollte. Einmal mehr wurde die Welt um mich herum schwarz.
Das Geräusch der Wagentür, die hinter mir zuschlug, riss mich zurück in die Wirklichkeit. Mein Zeigefinger fühlte sich etwas taub an, und unter der Haut spürte ich den pochenden Schmerz, der verriet, dass ich einen Bluttest abgelegt – und bestanden – hatte, um hineinzugelangen. Keine Virenvermehrung für mich. Zumindest noch nicht. Ich schaute mich benommen im Wagen um, und mein Blick zuckte zur Decke, auf der Suche nach dem Rorschachmuster, das Georges Blut
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