Deadline - Toedliche Wahrheit
nach meinem tödlichen Schuss hinterlassen hatte. Einen Moment lang sah ich es vor mir, rote Spritzer, die beim Trocknen unterschiedliche Brauntöne annahmen. Dann blinzelte ich, und das Blut verschwand und wurde durch die makellos weiße Innenverkleidung ersetzt.
»Atme, Shaun«, sagte George. Ihre Stimme kam von hinter mir anstatt aus meinem Kopf. Sie klang ruhig, tröstend, sogar ein wenig belustigt. Sie redete mir einfach nur gut zu, um mich vor einer Panikattacke zu bewahren. Alles keine große Sache, ganz normales Tagesgeschäft. Zwar war ich eigentlich nicht sehr anfällig für derartige Aussetzer, aber wenn man ständig mit totem Zeugs herumspielt, dann tickt man zwangsläufig das eine oder andere Mal aus. »Du holst dir noch ein Aneurysma.«
»Hast du nicht gehört?«, fragte ich mit geballten Fäusten. Der Drang, mich dorthin umzudrehen, wo ihre Stimme herkam, war fast unwiderstehlich. Doch stattdessen schaute ich weiter zur Decke und wartete darauf, dass erneut das Blut aufflackerte. »Du hättest dich erholt.«
»Sagt sie«, erwiderte George. Die Belustigung war aus ihrem Tonfall verschwunden und wurde durch die kaum im Zaum gehaltene Wut ersetzt, die praktisch ihr Markenzeichen war. »Die Testergebnisse waren eingespeichert – der Seuchenschutz wusste von meinem Tod. Wenn du einfach gegangen wärst, dann wäre etwas passiert, das weißt du. Im schlimmsten Fall hättest du mit ansehen dürfen, wie mich Leute in Schutzanzügen ins Freie zerren, während ich schreie, dass sie mich noch einmal testen sollen. Vielleicht wäre nicht einmal mein letzter Blogeintrag veröffentlicht worden. Vielleicht wäre die Wahrheit nicht rausgekommen.« Sie hielt inne und sagte dann die Worte, die mir offenbar den Rest geben sollten: »Vielleicht wäre Tate mit weißer Weste davongekommen.«
»Das weißt du nicht«, gab ich zurück. »Wir hätten behaupten können, dass die Testeinheit eine Fehlfunktion hatte. So etwas ist schon vorgekommen.«
»Wie oft?«
Ich antwortete nicht.
George seufzte. »Dreimal, Shaun. Bei einer solch erstklassigen Testeinheit dreimal. In allen drei Fällen wurde ein mechanisches Versagen nachgewiesen – und in zwei der Fälle wurden die betreffenden Personen trotzdem getötet. Die Familien haben ihre Prozesse auf Grundlage von weiteren Tests gewonnen. Wir wissen beide, was ein zweiter Test in meinem Fall gezeigt hätte. Es ist sinnlos, so zu tun, als wüssten wir es nicht.«
Das war zu viel. Erneut flackerte das Blut vor meinen Augen auf. Ich wirbelte herum und spürte, wie sich mir die Fingernägel in die Handballen gruben, während ich schrie: »Scheiße noch mal, George, es bestand eine Chance !« Sobald ich den leeren Stuhl vor mir sah, würde alles wieder normal sein. Sie würde wieder zu einer Stimme in meinem Kopf werden, nichts weiter, weil sie nämlich tot war, weil ich sie getötet hatte. Ich musste bloß den leeren Stuhl vor mir sehen.
Stattdessen sah ich George.
Sie saß mir zugewandt an ihrem angestammten Arbeitsplatz. Der Computermonitor hinter ihr umrahmte ihren Kopf wie ein technologischer Heiligenschein, und das Licht und die Art, wie sie dasaß, waren so vertraut, dass ich nicht wusste, ob ich lachen oder schreien oder dem Himmel dafür danken sollte, dass ich nun endgültig den Verstand verloren hatte. Sie trug ihre übliche, von jeglicher Mode unbeeindruckte Kombination: eine schwarze Jacke, ein weißes Anzughemd und schwarze Jogginghosen. Nur mit ihrem Gesicht stimmte etwas nicht – nein, es war eigentlich nicht ihr Gesicht, nur die Augen. Ihre Sonnenbrille fehlte, und ihre Augen waren von dem klaren Kupferbraun, an das ich mich aus der Zeit erinnern konnte, bevor ihr retinales Kellis-Amberlee ihre Iriden zu schmalen Ringen hatte schrumpfen lassen.
Ich starrte sie an. Sie beachtete es gar nicht, wie immer, wenn sie nicht so lange warten wollte, bis ich es auch endlich kapierte. »Es bestand eine Chance«, pflichtete George mir bei. »Jetzt nicht mehr. Das ist jetzt Vergangenheit, hab ich recht? Über diesen Punkt sind wir längst hinaus.«
Mein Mund wurde trocken, und der Raum um mich herum, der ohnehin schon verschwommen gewirkt hatte, begann sich zu drehen. »George … ?«
»Ich bin froh, dass du in letzter Zeit keine schweren Kopfverletzungen erlitten hast«, sagte sie mit einem wehmütigen Lächeln.
Ich starrte sie weiter an, bis sie schließlich seufzte. »Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit, weißt du. Früher oder später wird man dich suchen kommen –
Weitere Kostenlose Bücher