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Deadwood - Dexter, P: Deadwood

Deadwood - Dexter, P: Deadwood

Titel: Deadwood - Dexter, P: Deadwood Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pete Dexter
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war jedoch fest und ruhig. Sie war einmal vom Trapez abgestürzt, über zehn Meter bis zum Boden, und hatte sich auf dem Weg nach unten gesehen. Sie hatte auch andere Dinge gesehen, wovon manches recht komisch war. Man wusste nie genau, wann man auf den Boden aufschlug, doch deswegen hatte sie sich nicht gescheut hinzusehen.
    Und sie starrte in seine Augen. Die Dinge, die Agnes Lake Angst machten – das, was ihr schon immer Angst gemacht hatte –, waren Dinge, die sie nicht sehen konnte. Jetzt schlug sie die Beine übereinander, um die Krämpfe zu lindern, und sah aus dem Fenster.
    Captain Crawford betrachtete die Umrisse ihrer kräftigen Beine unter den Röcken und schaute dann zum selben Fenster hinaus. »Das hier ist das reichste Land der Welt«, sagte er. »Ich bin von einem Ende der Landkarte zum anderen gereist, Ma’am, und genau das hier ist das reichste und wildeste und beste Land.«
    Agnes starrte auf die Kiefern und fragte sich, welchen Eindruck wohl Bill von diesem Land gehabt hatte. Manche seiner Briefe – alles in allem waren es acht, und sie hatte alle bei sich in ihrer Handtasche – klangen wie Captain Crawford, und manche von ihnen sagten ihr, als sie später darüber nachdachte, dass er sterben würde. Sie wusste, dass sie ihn niemals hätte aus den Augen lassen dürfen.
    Agnes Lake war zweiundvierzig, als sie Wild Bill heiratete. Sie war in Europa, Afrika und Ägypten gewesen, und in jeder Stadt Amerikas mit genügend Einwohnern, um einen Zirkus anzulocken. Sie tanzte auf dem Hochseil, turnte am Trapez und vollführte Kunststücke auf Pferden, die niemand sonst machte – weder Mann noch Frau. Sie konnte auf einem Reitpferd in vollem Galopp stehen. Auf dem Rücken ihrer eigenen Pferde konnte sie im leichten Galopp Saltos schlagen, vorwärts und rückwärts. Sie besaß einen außerordentlichen Gleichgewichtssinn, und das wusste sie seit ihrem dritten Lebensjahr.
    Sie war stark wie die meisten Männer, doch das merkte man nicht, außer vielleicht an ihren Beinen, die kräftiger waren als die eines Mannes. Bill hatte ihre Wadenmuskeln gemocht und ihr gesagt, sie solle sich nicht dafür schämen. Auf diese Art hatte er sie oft überrascht, wie aus heiterem Himmel, und ihr Herz gerührt. Niemand sonst hatte je gesehen, dass sie sich schämte.
    Er konnte so etwas sagen, und im nächsten Moment schon starrte er in die Luft und ließ sich über die Art von Problemen aus, die mit Berühmtheit einhergingen, als gäbe es da ein Geheimnis, das ganz allein sie beide kannten. Und das war einfach himmelweit entfernt von ihren Interessen.
    »Geht es wieder?« fragte der Captain. Sie richtete ihren Blick wieder in das Innere der Kutsche und sah, dass er blass war. Jetzt lächelte sie, doch mit dem Lächeln schienen ihre Krämpfe zurückzukommen. »Es wäre nicht das geringste Problem, dem Kutscher zu sagen, er solle anhalten«, sagte er. »Wir haben schon ziemlich lange nicht mehr angehalten.«
    Als sie keine Antwort gab, beugte sich der Captain über den Mann mit dem Flachmann und steckte seinen Kopf aus dem Fenster. Er brüllte zweimal, und sie hörte den Kutscher zurückbrüllen. Die Worte konnte sie nicht verstehen, falls es überhaupt Worte waren, die da gebrüllt wurden.
    Während sie zusah, kamen die Bäume auf der Seite der Kutsche, auf der Captain Crawford seine Unterhaltung mit dem Wagenlenker führte, immer näher. Dann sackte die Kutsche plötzlich weg, als ein Rad vom Weg abkam. Der hintere Teil der Kutsche rutschte zur Seite, und der Kutscher brüllte seine Pferde an. Sie hörte die Panik in seiner Stimme, etwas flog am Fenster vorbei – sie bemerkte es kurz am Rande ihres Blickfelds –, und dann plumpste der Farmerjunge auf ihren Schoß.
    Die Kutsche verlor ein Rad und sackte wieder ab, tiefer diesmal, und sie beobachtete die Gesichter ihr gegenüber. Sie hatte keine Angst. Captain Crawford rollte in den Mittelgang und bedeckte seinen Kopf mit den Händen, während der Junge auf ihrem Schoß anfing, sich gegen ihre Beine zu stemmen, damit er sich aufrichten konnte. Seine Hände lagen auf ihren Oberschenkeln, aber in dem Durcheinander merkte er das gar nicht. Der Mann mit dem Flachmann und der Zigarre fiel auf Captain Crawford, der im Mittelgang lag, und der Junge rollte von ihrem Schoß und leistete den beiden Gesellschaft.
    Die Kutsche krachte gegen einen umgestürzten Baum und blieb stehen. Sie sah alles. Die anderen lagen auf ihren Plätzen und auf dem Boden in Erwartung einer weiteren

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