Deadwood - Dexter, P: Deadwood
»Hol mir ein Kissen«, sagte er. »Ich hab Gelbfieber und brauch ein Kissen für meinen müden Kopf.«
Swearingen sah Boone ins Gesicht, das teigig und bleich war. »Deine Gesichtsfarbe passt aber nicht zu Gelbfieber«, sagte er. »Da ist man nämlich gelb …«
»Noch so einer«, stöhnte Boone.
Swearingen öffnete die Tür einen Spalt weit und linste hinaus. Der Junge war nicht zu sehen. »Ich brauche Flüssigkeit«, sagte Boone.
Swearingen hob das Fläschchen mit
Tutt’s Pills
auf und las vom Etikett laut die Symptome für Gelbfieber ab. »Appetitverlust, Verstopfung, Kopfschmerzen verbunden mit einem dumpfen Gefühl im Hinterkopf, Schmerzen unter dem Schulterblatt, Völlegefühl nach den Mahlzeiten …« Boone stöhnte und hielt sich den Bauch. »Starke Abneigung gegen körperliche wie geistige Betätigung, Gereiztheit, Niedergeschlagenheit verbunden mit dem Gefühl, seine Pflichten vernachlässigt zu haben, Mattigkeit, Schwindel, Herzflattern, Punkte vor den Augen, gelbe Haut und Darmträgheit.« Er stellte das Fläschchen zurück auf den Boden. »Siehst du?« sagte er. »Da steht gelbe Haut. Du hast die falsche Farbe.«
Boones Gesicht war schweißgebadet. »Ich hab’s trotzdem«, sagte er, »oder irgendwas Schlimmeres. Hol mir was zum Trinken.«
»Ich hab was Besseres«, sagte Swearingen. Er nahm alles Geld, das er bei sich trug, aus seiner Tasche – es waren fast vierhundert Dollar – und legte es neben Boone aufs Bett. »Du musst nichts anderes tun als aufstehen«, sagte er. »Zieh deine Hose an und erschieß einen Pilger. Anschließend kannst du direkt wieder ins Bett.«
Boone hob den Kopf gerade so weit, dass er das Geld sehen konnte. »Momentan kann ich nichts und niemanden erschießen«, sagte er. »Ich seh Punkte.«
Swearingen hatte plötzlich wieder das Bild des Jungen vor Augen, wie er durch das Loch in der Tür des
Gem
blickte. Dann hörte er seine Frau.
Er ist nach oben gegangen
. Er beschloss, sie zu erdrosseln, nachdem Boone den Jungen abgeknallt hatte.
»Ich hätte ihn umlegen sollen, als ich die Gelegenheit hatte«, schimpfte Swearingen. Er dachte daran, wie der Junge ausgesehen hatte, mit dem Messer im Mund und seinen heruntergelassenen Hosen. Damals war er großzügig gewesen, und jetzt war der Junge wieder da, um sich zu rächen.
Boone starrte immer noch das Geld an. »Das ist eine Regel, an die man sich immer halten sollte«, sagte er. »Leg sie um, wenn du die Gelegenheit dazu hast, andernfalls wirst du selbst umgebracht.«
Mit einem Mal hatte Swearingen das Gefühl zu ersticken. Es war eiskalt in dem Zimmer, und er musste pinkeln. »Ich geb dir fünfhundert«, sagte er.
Boone stöhnte. »Fünfhundert Dollar nützen mir nichts, wenn ich am Gelbfieber gestorben bin.« Er legte sich zwei Finger aufs linke Handgelenk und fühlte seinen Puls. Von dort wanderte seine Hand an die Stirn. »In meinem ganzen Leben hab ich mich noch nie so mies gefühlt wie jetzt!«
Swearingen drückte die Tür wieder einen Spaltbreit auf. Der Junge hatte ihn noch immer nicht gefunden. »Lass mich eine Weile hierbleiben«, sagte er. »Wenn du anfängst zu sterben, kann ich ja den Doc holen.«
Boones gesundes Auge blinzelte. »Für wie lange?« fragte er. Swearingen fand es seltsam, diese Frage aus dem Munde eines Mannes zu hören, der zu sterben beabsichtigte.
»Einen Tag«, antwortete er.
Boone nahm das Geld und hielt es vor sein Gesicht, als wäre es ein Verwandter, den er vom Sterbebett aus wiederzuerkennen versuchte. »Einen Tag«, sagte er, »aber mach mir hier keine Unordnung.« Er legte das Geld auf die Matratze und sich selbst darauf, flach auf den Rücken, und schloss die Augen.
Die Hütte hatte ein Fenster, neben dem sich Swearingen postierte, um hinauszusehen. Von hier aus wirkten die Hills steil und bedrohlich. Der Rahmen hatte sich durch die Herbstregenfälle verzogen und klemmte, als er versuchte, das Fenster zu öffnen. Er probierte es noch einmal an der anderen Seite, und es öffnete sich vier, fünf Zentimeter, dann ließ es sich nicht mehr bewegen.
Swearingen sah zum Bett hinüber, doch Boone rührte sich nicht. Er knöpfte seine Hose auf. Der Fensterspalt lag rund dreißig Zentimeter unter seinem Pimmel, und er überlegte einen Moment, wie er es am besten anstellen sollte. Wäre er allein gewesen, dann wäre er einfach einen Schritt zurückgetreten und hätte es laufen lassen. Aber Boone May war nicht der Typ, über dessen Fußboden man pinkeln wollte, also schob Swearingen
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