Deathbook (German Edition)
vorbereitet, dass er abermals vorspringen und versuchen würde, auch mich zu betäuben. Doch das geschah nicht. Vielleicht hatte der Schuss ihn verschreckt.
Die Waffe nach vorn gerichtet, betrat ich einen weiteren Raum. Helles Licht blendete mich. Die Wände waren rundum weiß gekachelt. An der rechten Längsseite standen zwei Metalltische, solche, auf denen Leichen für die Bestattung vorbereitet wurden. In der Ecke hinten links lag Ann-Christin. Neben ihr surrte die Dialysemaschine. Sie war noch bei Bewusstsein und starrte mich an. Ihr Blick war panisch. Sie versuchte, trotz des Klebestreifens auf ihrem Mund etwas zu sagen, doch ich konnte sie nicht verstehen.
Ich eilte zu ihr hinüber und entfernte das Paketband mit einem schnellen Ruck. Ann-Christin schrie kurz auf.
«Keine Angst, es ist vorbei, ich helfe dir. Wo ist Quindt hin?», fragte ich sie und suchte hektisch an der Dialysemaschine nach dem Schalter, den der Deathbook-Killer mir auf dem Video gezeigt hatte. Ich fand ihn und schaltete die Maschine ab. Die kleinen Schaufelräder in dem mit Blut gefüllten Sichtfenster liefen langsam aus. Das Blut im Schlauch floss nicht mehr.
«Hinter dem Vorhang …», sagte Ann-Christin mit matter Stimme.
Ich drehte mich um und sah, was sie meinte: einen weiteren grauen Vorhang, zehn Meter von mir entfernt in der hinteren Ecke des Raumes. Er schwang leicht nach, so als sei gerade eben jemand hindurchgegangen.
Plötzlich hörte ich hinter mir ein Geräusch. Erschrocken fuhr ich herum und zielte mit der Waffe. Mein Finger krümmte sich um den Abzug, ich spürte den Druckpunkt, zog aber nicht durch.
Es war Manuela. Sie stand schräg gegen den Türrahmen gelehnt und rieb sich das Gesicht.
«Wo … wo ist er?», fragte sie. Dann löste sie sich vom Türrahmen und stolperte auf mich zu. Ich ging ihr ein paar Schritte entgegen und fing sie auf.
«Er ist geflüchtet. Wie geht es dir?»
«Es … es geht schon. Ich hab gerade noch die Luft anhalten können. Aber es brennt in den Augen und im Hals.»
Ich schaute ihr direkt in die Augen. «Kannst du bei Ann-Christin bleiben?», fragte ich. Es war klar, dass sie Quindt in ihrem Zustand nicht verfolgen konnte.
Manuela nickte.
«Ich habe das Dialysegerät abgeschaltet, aber es wäre gut, wenn du die Kanülen in ihren Oberschenkeln schließen könntest.»
«Okay … das bekomme ich hin.»
Ich reichte ihr die Waffe. «Falls er wiederkommt.»
Manuela schüttelte den Kopf. «Behalt sie. Es brennt in den Augen, ich kann kaum etwas sehen. Ich würde ihn nicht treffen. Lass mir deinen Teaser da.»
Ich gab ihn ihr. Sie berührte meine Hand.
«Pass auf dich auf, Andreas.»
Ich nickte.
Unmittelbar hinter dem Vorhang führte eine Holzstiege in die Tiefe. Damit hatte ich nicht gerechnet. Die wilde Entschlossenheit, die ich eben noch gespürt hatte, verflog. Es gab kein Licht auf dieser Treppe, und einen Schalter sah ich auch nicht. Also klaubte ich mein Handy aus der Tasche und schaltete die Leuchte ein.
Vorsichtig geworden, stieg ich nicht sofort hinunter, sondern sondierte erst die Lage. Das war mein Glück: Gleich die erste Stufe fehlte. Jemand, der unbedacht ausschritt, würde zwangsläufig stolpern und sich beim Sturz hinunter wahrscheinlich das Genick brechen. Im Vergleich zu dem Licht, dem Hundegebell und dem stromführenden Vorhang war dies eine simple Falle, aber nicht weniger wirkungsvoll.
Ich machte einen großen Schritt und überwand die fehlende Stufe.
Das Holz knarrte, und in der Dunkelheit kam mir das Geräusch ohrenbetäubend vor. Egal. Quindt wusste ja längst, dass wir da waren.
Die Treppe verlief gerade und mündete in einen schmalen Gang. Der Boden bestand aus altem, rissigem Beton. Die Wände waren gemauert und weiß gestrichen. Ich hob mein Handy und leuchtete. Rechts und links an den Wänden hingen billige Glasbilderträger. Sie enthielten alle ein ähnliches Bild: Eine rote Tulpe auf weißem Grund. Darüber lagen dünne rote Striche, fast so, als schaue man durch das Gitter eines Gefängnisfensters auf die Blume. Sofort fielen mir die roten Fäden in den Augenhöhlen der Deathbook-Maske ein.
Was hatte das zu bedeuten?
Ich schlich weiter den Gang entlang. Mein Herz raste inzwischen wie verrückt, Schweiß lief mir den Rücken hinab. Ich war bis aufs äußerste angespannt. Sollte Quindt mich angreifen, würde ich ihn ohne zu zögern erschießen.
Der Gang endete nach wenigen Metern an einem grünen Vorhang.
Ich hörte ein Summen und Klappern,
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