Deathbook (German Edition)
schriftstellerisches Interesse durch, und ich hob sie auf. Blut klebte an den Fingerspitzen.
Ich warf sie weg, richtete mich auf und atmete tief ein.
Das Blut musste nicht von Kathi stammen. Einer der Beamten konnte sich verletzt haben. Trotzdem machte der Anblick mich fertig. Mich, der ich in meinen Büchern nicht davor zurückschreckte, die schlimmsten Morde zu beschreiben.
Scheiße, was tat ich überhaupt hier? Wie überheblich war ich eigentlich? Glaubte ich wirklich, etwas zu finden, was die Polizei übersehen hatte?
Aber was ich tat, war ich Kathi schuldig, also musste ich weitermachen.
Ich visierte einen hohen grauen Signalmast an und ging darauf zu. Dort angelangt, würde ich auf die andere Seite der Gleise wechseln und mich dort umschauen. Es dauerte fünf Minuten, dann hatte ich den Mast erreicht. In dieser Zeit fuhr kein Zug vorbei. Diese Strecke schien nicht sehr stark befahren zu sein. Ich kletterte die Schotterböschung empor. Die grauen Steine rutschten unter meinen Füßen weg. Oben angekommen, richtete ich mich auf.
Und wurde sofort zurückgeworfen.
Ein immenser Luftdruck stieß mich zurück. Lärm erfüllte die Luft, eine weiße Wand schoss keine zwei Meter entfernt an mir vorbei. Auf Bahnsteigen hatte ich schon erlebt, wie es sich anfühlte, wenn ein ICE mit noch gedrosselter Geschwindigkeit vorbeifuhr. Dieser jedoch brauste mit Höchstgeschwindigkeit vorbei. Erst stieß er mich weg, dann sog er mich wieder an, und wenn ich mich nicht an dem Metallgestell des Signalmastes festgeklammert hätte, wäre ich vielleicht unter die Räder gekommen.
Nach wenigen Sekunden war der Spuk wieder vorbei. Erschrocken und völlig verdattert sah ich dem Zug hinterher. Dabei fiel mir ein Schaltkasten aus grauem Metall auf, der an dem Mast befestigt war. Er befand sich vierzig Zentimeter über mir. Das Gehäuse und der Deckel waren mit einem Vorhängeschloss gesichert. Auf dem Deckel des Kastens klebte etwas, das meine Aufmerksamkeit auf sich zog.
Es war der Rest eines weißen Blatts Papier. Von einigen Regenschauern durchweicht und danach wieder getrocknet, wirkte es wie ein altes Stück Haut. Darauf sah man ein schwarzes, im Regen verlaufenes Muster, in der Mitte durchgerissen. Am Rand des Risses standen feine Zellulosefäden ab wie Härchen. Der Riss war demzufolge frisch.
Bevor ich darüber nachdenken konnte, bemerkte ich aus den Augenwinkeln eine Bewegung im Wald, auf der anderen Seite der Gleise.
Da war jemand zwischen den Bäumen, eine große Gestalt in dunkler Kleidung. Sie lief von mir weg und nutzte dabei die Deckung.
Ich vergewisserte mich, dass kein Zug kam, und kletterte auf den Gleiskörper. Es war ein beängstigendes Gefühl, zwischen den Metallsträngen zu stehen. Hastig sprang ich in großen Sätzen auf der anderen Seite die Böschung hinunter. Unten blieb ich stehen und sah in die Richtung, in der ich die dunkle Gestalt zuletzt gesehen hatte. Zwischen den Bäumen bewegte sich nichts. Wahrscheinlich hatte der Typ bemerkt, dass er entdeckt worden war, und versteckte sich.
Was hatte er hier zu suchen? Hatte er mich beobachtet? Mir fiel der weiße Wagen ein, der am Parkplatz für einen Moment langsamer geworden war.
Da – ein Schatten zwischen den Bäumen. Er war schon verdammt weit entfernt und verschmolz fast mit dem Zwielicht im Unterholz.
«Hey!», schrie ich und lief los. Ich war gut in Form, joggte dreimal die Woche eine Stunde durch ähnliches Gelände und baute meist auch kurze Spurts in mein Training ein. Wenn der Typ da vorn kein wirklich guter Athlet war, würde ich ihn einholen.
Ich setzte über umgestürzte Baumstämme, Büsche und Fuchslöcher hinweg. Mein Herz raste. Wie oft hatte ich in meinen Geschichten die These verwendet, dass Täter gern an den Ort ihrer Taten zurückkehrten? Hatte ich einfach ein Mordsglück und war heute zur richtigen Zeit hierhergekommen? Oder war der Typ mir gefolgt? Aber warum sollte er? Niemand brachte mich mit Kathi in Verbindung – oder?
Unter mir brach laut krachend ein morscher Zweig. Während ich weiterlief, sah ich, wie sich der Typ zu mir umdrehte. Er trug eine dunkle Kapuze auf dem Kopf. Das war kein Jäger oder Förster, auf gar keinen Fall.
Ich legte noch zu, holte alles heraus, was in mir steckte. Der Typ in der dunklen Kleidung verlor schnell an Boden. Uns trennten vielleicht noch fünfzig Meter.
«Hey», rief ich abermals, «bleib stehen!»
Natürlich lief er weiter. Vielleicht strengte er sich noch einmal an, mir zu
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