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Deathbook (German Edition)

Deathbook (German Edition)

Titel: Deathbook (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Winkelmann
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letzten Minuten seiner Frau vorgehalten, weil er glaubte, Ann-Christin schlafe. Und natürlich hatte er über Papa hergezogen. «Brutales Arschloch» und «Frauenhasser» waren noch die harmloseren Bezeichnungen gewesen. Leider hatte Gustav auch damit recht. Ann-Christins Erinnerung war voller schöner Momente mit ihrem Vater, aber die hatte es nur gegeben, wenn sie beide allein gewesen waren. Dazwischen tauchten Erinnerungen an ihre schreiende Mutter auf, an blutende Lippen, blau geschlagene Augen und Nächte in der Notaufnahme des Krankenhauses. Und das alles überlagert von der Angst, er könnte zurückkehren und seine Drohungen wahr machen. Würde er zur Beerdigung kommen? Würde er versuchen, Kontakt zu ihr aufzunehmen?
    Ann-Christin wollte sich diesen Fragen nicht stellen. Sie hatte dafür keine Kraft. Das letzte bisschen Energie hatte sie im Beerdigungsinstitut Quindt aufgebraucht. Sie hatte den fürsorglichen Inhaber dazu gezwungen, den Sargdeckel zu öffnen. Ohne einen letzten Blick auf Mama wäre sie nicht gegangen, also war dem Mann gar nichts anderes übriggeblieben.
    Leider hatte dieser letzte Blick nichts verändert. Mama hatte ausgesehen, als schlafe sie. Ann-Christin hatte sie unzählige Male so gesehen, wenn Mama abends auf der Couch vor dem Fernseher eingeschlafen war. Das war nicht der Tod, das war doch Schlaf!
    Der Beerdigungsunternehmer hatte ihr zu erklären versucht, dass der Tod nichts anderes sei als ein langer Schlaf, aber das nahm Ann-Christin ihm nicht ab. Er hatte ihr auch erzählt, dass er selbst seine Eltern früh verloren hatte und deshalb wusste, wie sie jetzt litt, aber auch das glaubte sie nicht. Niemand wusste das. Dieser Mann nicht, Tante Verena nicht, der bescheuerte Gustav nicht, niemand.
    Es pochte leise an der Tür.
    «Ann-Christin, Schatz, bist du wach?»
    «Ja, komm rein.»
    Tante Verena betrat das Zimmer. Sie roch intensiv nach Kölnischwasser, wie immer. Mama hatte immer gesagt, sie wolle damit ihre Alkoholfahne übertünchen. Sie und Gustav tranken zu viel.
    «Wir müssen jetzt leider aufbrechen», sagte Tante Verena.
    «Ist gut.»
    «Bist du sicher? Du kannst auch gern mit zu uns kommen, wir haben ja das Gästezimmer, und ein paar Nächte …»
    «Da stapeln sich die Kartons mit den Weihnachtssachen drin», rief Gustav von nebenan. «Da kann niemand drin schlafen.»
    «Schon gut», sagte Ann-Christin und versuchte ein Lächeln.
    Tante Verena setzte sich auf die Bettkante.
    «Du musst etwas trinken und essen», sagte sie. «Ich hab in der Küche ein Sandwich für dich vorbereitet.»
    Für einen Moment schwiegen sie, und Ann-Christin hörte Gustav ungeduldig mit seinem Schlüsselbund klimpern.
    «Es tut mir so leid», sagte Tante Verena schließlich. «Wenn du Hilfe brauchst, ruf mich an, ja?»
    «Okay.»
    Sie streckte die Hand aus und wollte Ann-Christin berühren, doch in diesem Moment rief Gustav: «Kommst du endlich?», und sie zog sie schnell wieder zurück. Dann stand sie vom Bett auf und ging. An der Tür drehte sie sich noch einmal um.
    «Deine Mutter», begann sie zögerlich, «sie war doch allein zu Hause, oder?»
    Ann-Christin bewegte den Kopf und sah ihre Tante an.
    «Was meinst du?»
    «Na ja, ich dachte nur … du weißt schon, wegen deines Vaters, diese ganze Geschichte halt.»
    «Sie war allein. Ich habe niemanden gesehen.»
    «Gut», seufzte Tante Verena erleichtert. «War ja auch eine blöde Frage. Ruf mich an, ja?»
    Damit verschwand sie. Ann-Christin hörte die Haustür zuschlagen, den Wagen wegfahren und fragte sich dabei, ob die Frage wirklich so blöd gewesen war. An jenem Abend, vor dem Haus, hatte sie da nicht Schritte gehört? Hatte sie nicht geglaubt, jemand folge ihr?
    War Mamas Tod wirklich ein Unfall gewesen?
     
     
    Z u Hause ging ich schnurstracks ins Bad und wusch mir das Gesicht. Selbst unter dem warmen Wasserstrahl dauerte es eine Weile, bis die braune Soße im Abfluss verschwand.
    Vor dem Spiegel tupfte ich mein sauberes und gerötetes Gesicht trocken, besonders vorsichtig um den Mund herum. Die Oberlippe war stark angeschwollen, auf der linken Seite hatte ich eine Platzwunde davongetragen. Sie war nicht sehr groß und würde, so hoffte ich, ohne Naht verheilen. Ich nahm Flüssigpflaster aus der Schublade und deckte die Wunde damit ab.
    Dann ging ich in die Küche, nahm eine Dose eiskalte Cola aus dem Kühlschrank, riss sie auf und trank vorsichtig daraus. Immerhin vertrieb sie den Blutgeschmack aus meinem Mund. Mit der Dose in der

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