Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
mich«, betete Oliver innerlich zitternd, verängstigt wie ein kleiner Junge. Das Glockenläuten setzte plötzlich aus, in der Kirche herrschte düsteres Schweigen, nur durchbrochen vom Geräusch seines Atems, dem Hämmern seines Herzens.
Nervös griff er in seine Tasche und zog den Rosenkranz hervor, dessen Perlen von häufiger Benutzung abgegriffen waren. Vielleicht würde er wie sonst Trost darin finden. Er atmete tief durch und schickte sich an, die Gebete zu flüstern, die auf immer Teil seines täglichen Lebens geworden waren. Seine Finger schlossen sich um das Kreuz des Rosenkranzes, er bekreuzigte sich noch einmal. »Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, Schöpfer des Himmels und der Erde …«
Tränen der Reue stiegen ihm in die Augen. Die Gebete flüsternd blickte er auf zu der Figur Jesu am Kreuz. Er war so vertieft ins Beten, dass er den Lufthauch nicht bemerkte, als die Tür geöffnet wurde. Er hörte auch nicht die leisen Schritte, die sich näherten, nahm nicht wahr, dass jemand in finsterer Absicht in die Kirche geschlichen war, begriff nicht annähernd, warum er in dieser Nacht wie Jesus am Kreuz für die Sünden anderer sterben sollte …
25.Kapitel
D anis Herz schlug wie rasend. Ihre Lunge brannte, Dornen und Gestrüpp zerkratzten ihr schmerzhaft die Beine, als sie den schmalen Pfad entlanglief. Sie hatte keine Ahnung, wie spät es war und wie viel Zeit seit ihrem Ausbruch aus dem Gefängnis vergangen war, aber sie musste laufen, bis sie nicht mehr konnte, so dringend ihr Körper auch nach einer Pause verlangte. Sie hatte Muskelkater an den Schienbeinen vom Bergablaufen, doch sie zwang sich durchzuhalten, wollte so weit wie eben möglich fort von der Hütte.
Je größer die Entfernung, desto größer die Chance zu entkommen.
Weiter. Lauf einfach weiter! Sie biss die Zähne zusammen, gönnte sich keine Pause, geriet gelegentlich ins Rutschen, stolperte über lose Steine, konnte sich jedoch abfangen. Wenn sie sich jetzt nur nicht den Knöchel verstauchte. Ängstlich leuchtete sie mit der Taschenlampe den Weg vor sich aus, lief, so schnell sie konnte, doch sie musste bereits nach Luft ringen, und einzig das Adrenalin in ihrem Blut ließ sie noch durchhalten.
Sie wusste nicht, ob es geschickt war, im Schutz der Dunkelheit zu flüchten. Er könnte den Schein ihrer Taschenlampe entdecken. Nach Tagesanbruch, wenn sie den Weg vor sich sah, würde sie schneller vorankommen, andererseits bestand dann aber auch die Gefahr, selbst gesehen zu werden.
Jetzt hatte sie ihn bestimmt abgehängt.
Sicher war sie inzwischen so weit entfernt, dass er sie nicht mehr fand.
Doch sie dachte an seine stahlharte Entschlossenheit, wenn er nackt vor dem Feuer sein Training ableistete, schweißnass, das dunkle Haar feucht und strähnig, die Narben auf seinem Rücken gespannt und glänzend.
Er würde niemals aufgeben.
Bis er sie gefunden hatte.
Bis er sie für seine abartigen Zwecke missbraucht hatte.
Der Gedanke trieb sie weiter; sie rannte den Hang hinab, folgte dem Weg, bis ihr Kopf dröhnte und ihre Lunge zu platzen drohte. Keuchend blieb sie schließlich an einer Weggabelung stehen und lauschte angestrengt über das Rauschen des Blutes in ihren Ohren hinweg. Sie beugte sich vor, stützte die Hände auf die Knie, atmete tief durch und versuchte, sich zu orientieren und zu entspannen.
Sich nach den Sternen richten zu wollen war zwecklos – sie hatte keine Ahnung, in welche Himmelsrichtung sie flüchten musste.
Ihr Atem ging allmählicher ruhiger.
Schweiß tropfte von ihrer Nase in den Staub zu ihren Füßen. Ihre Kehle war völlig ausgetrocknet.
»Gott steh mir bei«, flüsterte sie und dachte an ihren Vater. Wo war er? Und Mom, ach, wenn sie ihrer Mutter doch noch ein einziges Mal sagen könnte, dass sie sie liebte. Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, und fürchtete, völlig zusammenzubrechen, doch Schwäche und Selbstmitleid brachten sie jetzt nicht weiter. Sie musste durchhalten.
Sie hörte schwaches Glockengeläut. Kirchenglocken hallten durch das Tal, aber in weiter Ferne. Ihr Herz machte einen Satz. Sie straffte sich, spähte in die Dunkelheit. Wo eine Kirche stand, wohnten auch Menschen, sie näherte sich der Zivilisation! Sie blickte in die Richtung, aus der das Geräusch kam, und obwohl Gestrüpp und Bäume ihr teilweise die Sicht versperrten, glaubte sie Lichter zu erkennen, eine Stadt. Weit unten. Sehr weit unten.
Mist!
Wie kam sie dorthin? Sie konnte nicht einfach quer
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