Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
krank werde vor Sorge?«, entgegnete sie und sah ihn fest an. »Nein, danke.«
»Kannst du nicht ein Schlafmittel einnehmen?«
»Ich will kein Zombie werden«, versetzte Shannon.
»Und ich will nicht, dass du dich umbringst.«
»Tu ich nicht.« Sie hatte sich genug gereckt und tippte noch einmal die Nummer ins Telefon. »Los, Oliver, wach auf.«
»Vielleicht ist er nicht zu Hause.«
»Wo soll er denn sonst sein?« Shannon verdrehte die Augen. »Gut, ein Punkt für dich«, sagte sie und legte seufzend auf. »Sogar Priester beziehungsweise künftige Priester haben ein Privatleben.«
»Warum bist du so versessen darauf, heute Nacht mit ihm zu sprechen?«
»Weil ich ihn vorhin, als wir uns gesehen haben, nicht habe zu Wort kommen lassen.« Plötzlich wirkte sie schuldbewusst. »Zu Hause bei Mom wollte er mit mir reden. Offensichtlich bedrückte ihn etwas, ich habe es an seinen Augen erkannt, aber noch bevor er mir sagen konnte, was ihn beschäftigte, kam Robert dazu, und daraufhin hat Oliver nicht weitergesprochen.« Sie runzelte ein wenig die Stirn. »Ehrlich gesagt war ich ganz froh darüber. Ich hatte keine Lust, mich in ein tiefschürfendes Gespräch verwickeln zu lassen. Ich wollte nur noch weg.« Sie sah durchs Fenster in die Nacht hinaus.
»Aber jetzt …« Sie schürzte nachdenklich die Lippen. »Jetzt denke ich, dass er mir vielleicht etwas Wichtiges sagen wollte, etwas, das ich seiner Meinung nach unbedingt wissen sollte.« Sie lehnte sich mit der Hüfte an den Küchentresen. »Oliver kam gerade von draußen herein, nach diesem Gespräch mit meinen Brüdern über die Geburtenfolge in unserer Familie und irgendetwas, das angeblich Dad zu verdanken ist.« Sie ging zum Tisch und griff nach den Zeichnungen, die Paterno ihr überlassen hatte. »Es kam mir so geheim vor, dass ich beinahe den Eindruck habe, es könnte irgendwie mit Danis Entführung oder sogar mit Mary Beth’ Tod zu tun haben.« Sie tippte auf die Nummer sechs in dem unvollständigen Stern. »Ich könnte schwören, Oliver weiß etwas und wollte es mir heute sagen.«
»Wenn du so sicher bist, fragen wir ihn doch.«
»Wir beide, du und ich?«
»Ja.« Er stand auf und sah sie eindringlich an. »Du bist todmüde.«
»Ja, ja, das sagtest du bereits«, wehrte sie mit einer gereizten Handbewegung ab. »Aber ich könnte jetzt sowieso nicht schlafen. Du etwa?«
Travis schüttelte den Kopf.
»Dachte ich’s mir. Da mein Pick-up bei der Polizei ist, müssen wir deinen nehmen. Ich fahre.«
Er bedachte sie mit einem Blick, der keinen Widerspruch duldete. »Ich fahre.«
»Also gut. Dann mal los.«
Paterno konnte nicht schlafen.
Der verdammte Fall ließ ihm einfach keine Ruhe.
Er zog sich aus bis auf Boxershorts und T-Shirt, holte ein Glas aus der Küche und gab eine Handvoll Eis aus einem Beutel, den er im Gefrierfach aufbewahrte, hinein. Dann schraubte er eine Whiskeyflasche auf, die auf dem Tresen stand, und lauschte auf das vertraute Knistern, als die Flüssigkeit auf die Eiswürfel traf. Er ließ den Drink im Glas kreisen und ging ins Wohnzimmer, wo der Fernseher lief, ESPN und, in einem Fenster unten rechts in der Ecke eingeblendet, CNN.
Herrgott, es war heiß. Seine Klimaanlage war defekt, und in seiner Wohnung im ersten Stock herrschte eine Gluthitze. Er öffnete die Schiebetür zur Dachterrasse, doch das brachte kaum Kühlung.
Auf der Straße unter ihm war fast gar kein Verkehr. Er trank einen Schluck, spürte den Whiskey durch die Kehle rinnen und sah beim Terrassenlicht etwas flattern. Er schlug die Insektenschutztür zu und blickte hinaus in die Nacht.
Also, was hatte er übersehen?
Er wandte sich seinem Schreibtisch zu, nippte an seinem Drink und blickte auf die in unordentlichen Stapeln aufgehäuften Notizen. Die Zeichnungen – damit konnte er nichts anfangen, er hatte nur so eine Ahnung, dass die Zacken des Sterns etwas mit den Flannery-Brüdern zu tun hatten … Und weiter? Der fehlende Zacken war der verschwundene Bruder, oder? Die gestrichelten Linien … Sie bedeuteten, dass die verstorbene Person nicht Teil der Familie war, nur angeheiratet … Oder nicht? Shannon stand in der Mitte … umgeben von ihren Brüdern … Ach, verdammt, ergab das einen Sinn? Nein. Wenn es um die Geburtenfolge ging, müssten die Zahlen dann nicht chronologisch nach dem Alter angeordnet sein? Aber so, wie er die Dinge sah, befand sich die Nummer fünf ohne Zacken neben der gestrichelten Spitze von Nummer zwei und in der Mitte die Sechs.
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