Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
Verbindung zu der Bibliothek, zu einem Lesezirkel und zu einer Organisation, die sich ›Geburts-Recht‹ nannte und sich der Unterstützung von Adoptivfamilien verschrieben hatte.
So weit, so gut.
In ihrer letzten Nachricht an GebSF0923 hatte Bethany Dani mitgeteilt, sie habe die Namen und Adressen ihrer leiblichen Eltern herausgefunden und werde ihr per E-Mail Belege schicken. Dani konnte das Risiko nicht eingehen, diese Dokumente zu Hause oder bei Freundinnen abzurufen, und deshalb hatte sie sich für das Internet-Café im Norden der Stadt entschieden.
Gleich war sie dort! Ihr stieg bereits der Geruch des Flusses in die Nase, ein satter, modriger Duft, den sie lieben gelernt hatte, und hier und da erhaschte sie zwischen Häusern hindurch einen Blick auf den Columbia River, der stetig nach Westen strömte. Das Sonnenlicht blitzte auf dem bewegten grauen Wasser, das sich an der Grenze zwischen den Staaten Washington und Oregon eine tiefe Schlucht gegraben hatte.
Im Lauf der Jahre hatte ihr Vater sie gelehrt, den Fluss zu ehren. Er hatte Dani zum Windsurfen, zum Angeln und zum Segeln auf dem ständig bewegten, eiskalten Wasser des Columbia mitgenommen.
Sie waren entlang des Flusses am steilen Berghang der Schlucht geritten, sie hatten bei den Wasserfällen ihr Zelt aufgeschlagen.
Wieder meldete sich Danis Gewissen mit aller Macht. Travis Settler hatte sich größte Mühe gegeben, ihr das Leben in der Wildnis nahezubringen, sie zu lehren, für sich selbst zu sorgen und die Natur zu erhalten. Sie konnte ein Kanu lenken, mit Pfeil und Bogen jagen, Spuren lesen und Feuer machen. Er hatte ihr gezeigt, welche Pflanzen essbar und welche giftig waren. Kurz, er hatte alles getan, was in seiner Macht stand, um aus ihr einen starken, lebenstüchtigen Menschen zu machen.
Und wie lohnte sie ihm das?
Indem sie ihm ins Gesicht log!
Doch jetzt war sie der Wahrheit schon so nahegekommen, dass sie nicht mehr zurück konnte.
Als sie an einem Müllcontainer hinter dem Canyon Café vorbeikam, schreckte eine Katze auf, die sich dort gesonnt hatte, sprang fauchend herunter und huschte über den angrenzenden Parkplatz, wo sie sich unter einem schmutzigen weißen Lieferwagen mit Kennzeichen aus Arizona versteckte. Wahrscheinlich wäre Dani gar nicht aufgefallen, dass der Lieferwagen aus einem andern Bundesstaat stammte, wenn ihr Dad und sie nicht jahrelang auf langen Fahrten über Land ein Spiel daraus gemacht hätten, möglichst viele neue Kennzeichen aus verschiedenen Staaten zu entdecken. Hatte sie nicht erst gestern Nachmittag so einen Lieferwagen gegenüber der Schule stehen gesehen?
Die Katze hockte jetzt hinter einem der Hinterräder und sah Dani böse an, die ihren Schritt verlangsamte und sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn wischte. Dann schlüpfte sie unter das Vordach über der leeren Laderampe eines Lagers. Rasch, ehe jemand zur Hintertür herauskam, setzte sie ihren Rucksack ab und holte die Verkleidung heraus. Es war zwar eine recht dürftige Tarnung, aber es genügte, damit man sie nicht gleich auf den ersten Blick erkannte. Nur für den Fall, dass etwas schiefging und ihr Dad anfing, Fragen zu stellen.
Außerdem hatte sie in letzter Zeit das seltsame Gefühl, dass jemand sie beobachtete und verfolgte. Sie fürchtete, ihr Dad könnte Verdacht geschöpft haben und sie deshalb im Auge behalten. Unfug, sagte sie sich, das war nur ihr schlechtes Gewissen.
Sie verdrängte diese unliebsamen Gedanken, setzte die mitgebrachte Yankees-Baseballkappe auf und zog ein graues Sweatshirt in Übergröße an, das sie aus dem Fundbüro der Schule entwendet hatte. Dann kramte sie eine billige Sonnenbrille aus dem Rucksack, die sie in der Drogerie erstanden hatte, und schließlich vervollständigte sie ihre Verkleidung mit einer blauen Jogginghose, die jemand vor zwei Tagen im Umkleideraum vergessen hatte.
Die Schuhe behielt sie an. Von ihren Lieblings-Nikes wollte sie sich nicht trennen, allein schon für den Fall, dass sie überstürzt flüchten musste. Abgesehen von ihrer Schwindelei machte irgendetwas an ihrem Plan sie nervös. Vielleicht lag es daran, dass sie einfach albern aussah, furchtbar spießig und für den heißen Tag völlig unpassend angezogen. Auf diese Weise fiel sie womöglich mehr auf als ohne Verkleidung, aber ihr Plan stand nun einmal fest.
Sie steckte ihr Haar unter die Kappe, zog sich den Schirm tief ins Gesicht und setzte die Sonnenbrille auf. Sie schwitzte bereits furchtbar in dem riesigen,
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