Deathkiss - Suess schmeckt die Rache
stinkenden Shirt. Zur Sicherheit schaltete sie auch noch ihr Handy aus.
Also, jetzt oder nie!
Eine Wespe summte ihr um den Kopf. Sie schlug nach dem Insekt, dann vergewisserte sie sich noch einmal, ob auch niemand ihre Verwandlung beobachtet hatte. Ihre Handflächen waren schweißnass, und sie nagte nervös an ihrer Unterlippe. Sie hatte alle, die sie kannte, angelogen. Selbst ihre beste Freundin, Allie Kramer, mit der sie sich nach der Schule am Schulbus treffen wollte.
Wenn sie es schaffte.
Schnell, schnell, schnell! Jetzt nur keine kalten Füße bekommen. Tu’s einfach!
Aber die Angst, dieses Gefühl, von irgendwoher beobachtet zu werden, ließ sie nicht los.
Sie atmete tief durch und schulterte den Rucksack. Im selben Moment hörte sie aus der offenen Tür des Lagerraums lauter werdende Stimmen. Da kam jemand! Und bestimmt jemand, der sie und ihren Vater kannte. Mist! Dani sprang von der Laderampe. Sie mochte sich gar nicht vorstellen, wie enttäuscht ihr Vater sein würde, wenn er erfuhr, was sie getan hatte.
Sie hasste diese Heimlichkeiten, doch seit dem Tod ihrer Mutter war er verschlossener denn je, was ihre leiblichen Eltern anging. Er sagte nur: »Wenn du achtzehn bist und es dann immer noch wissen willst, helfe ich dir.«
Achtzehn? Bis dahin dauerte es noch fünf Jahre. Nein, so lange konnte sie nicht warten.
Dani bog um eine Ecke, und da gerade kein Auto in Sicht war, überquerte sie bei einer Kneipe mit dem Namen ›Not Whole‹ ordnungswidrig die Straße. Was für ein alberner Name, dachte sie, während sie die Neon-Bierreklame im Fenster und die zerschrammte Tür betrachtete.
Dani schob eine widerspenstige Haarlocke zurück unter ihre Kappe und wischte sich den Schweiß aus dem Nacken. Tja, nach Moms Tod war ihr Dad wirklich komisch geworden. Himmel, auf einmal führte er sich auf, als sei sie aus Glas oder so, auf einmal wurde er böse, wenn sie ihm Fragen über ihre Herkunft stellte, auf einmal trank er viel mehr als früher, bis er dann endlich wieder anfing, sich mit Frauen zu treffen. Und das war ein neuer Albtraum. Wenn Dad sich richtig fein machte, sich ordentlich frisierte und sich Aftershave und Eau de Cologne ins Gesicht schmierte, um Himmels willen.
Würg! Zum Kotzen!
Dani schauderte bei dem Gedanken. Früher hatte sie mit ihm über alles reden können, aber wenn sie jetzt die große Frage stellte – Wer bin ich wirklich? –, verschloss ihr Vater sich wie eine Auster. Seine blauen Augen verdunkelten sich, er presste die Lippen zusammen, und die Sehnen an seinem Hals traten hervor. Es war, als traute er ihr nicht, als hätte er Angst, sie würde ihn verlassen, wenn sie ihre leiblichen Eltern fände.
Also musste sie sich die Informationen hinter seinem Rücken beschaffen. Ihr Vater würde natürlich erfahren, dass sie die letzte Schulstunde geschwänzt hatte, aber sie hatte sich eine Entschuldigung zurechtgelegt: Sie hatte Regelschmerzen, und es war ihr zu peinlich, es dem Lehrer zu sagen. Auf dieses Thema würde ihr Vater nicht weiter eingehen. Sie würde ihm gleich, sobald sie heimkam, gestehen, dass sie die Sportstunde versäumt hatte – vielleicht hatte die Schule bis dahin noch nicht angerufen. Er würde sie ermahnen, so etwas nie wieder zu tun, und vielleicht würde sie ein paar Tage Hausarrest bekommen. Aber wahrscheinlich kam sie mit einer Standpauke davon.
Das war ihr die Sache wert. Endlich würde sie ein paar Antworten auf ihre Fragen bekommen.
Sie bog um eine weitere Straßenecke und stand vor dem Internet-Café. Mit einem Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass sie pünktlich war. Das ›Wireless Gorge‹ war ein kleines, altes Haus mit einem wahren Labyrinth kleiner Büros. Eine pinkfarbene Neonreklame verkündete, dass es geöffnet hatte, und auf handgemalten Schildern waren die Angebote aufgelistet: Internetzugang, Fax, Kopieren, Drucken und so weiter.
Mit feuchten Händen trat Dani ein. Drinnen war es stickig, obwohl mehrere Ventilatoren liefen. Der Mann, der den Laden führte, saß vor einem Dutzend Monitoren, die mit einem Gewirr von Kabeln, Modems und Tastaturen verbunden waren. Er nannte sich Sarge, und Dani schätzte ihn auf etwa sechzig. Wie gewohnt hockte er auf seinem zerschlissenen Schreibtischstuhl. An seinem Hinterkopf breitete sich bereits eine Glatze aus, und die verbliebenen Haare trug er zu einem Pferdeschwanz gebunden. Die verklebten grauen Strähnen ringelten sich über den Rücken seiner Camouflage-Jacke. Als er hörte, dass die Tür
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