Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
konnte heikel sein, wenn das Yard zur Zusammenarbeit mit einer unabhängigen örtlichen Polizeibehörde zugezogen wurde. Strenggenommen war Kincaid hier der ranghöhere Beamte, doch er hatte nicht das geringste Verlangen, sich Nick Deveney zum Feind zu machen, zumal dieser ein intelligenter und fähiger Mann zu sein schien. Er nickte deshalb zustimmend auf Deveneys letzte Bemerkung. »Natürlich. Vielleicht hat ja jemand den Täter beobachtet.«
»Ja, und vielleicht entdecken wir bei Tageslicht, daß er im ganzen Garten fünf Zentimeter tiefe Fußabdrücke hinterlassen hat«, meinte Deveney grinsend.
Kincaid lachte kurz. »Und dazu einen ganzen Satz prächtiger Fingerabdrücke auf dem Türknauf. Glück müßte man haben! Wie früh ist übrigens >in aller Frühe« fragte er gähnend und rieb mit der Hand über sein stoppeliges Kinn.
»Sieben, würde ich sagen. Kate Ling scheint keinen Schlaf zu brauchen. Sie lebt von Kaffee und Formaldehyddämpfen«, sagte Deveney. »Aber sie ist gut, und wir haben Glück, daß sie die Sache übernommen hat.«
Als Gemma sich wieder zu ihnen gesellte, schloß Deveney sie mit einem Lächeln in das Gespräch ein. »Schicken Sie doch Ihren Fahrer mit dem Wagen nach London zurück. Ich habe für Sie hier im Pub Zimmer reserviert - Sie haben doch mit einem längeren Aufenthalt gerechnet?« Als beide nickten, fuhr er fort: »Gut. Wir schicken Ihnen morgen jemanden, der Sie in die Pathologie in Guildford bringt. Und dann ...«Er brach ab, als an der Tür zum Vorraum ein Beamter erschien und ihm winkte. Mit einem Seufzer stieß er sich vom Türpfosten ab. »Bin gleich wieder da.«
»Ich kümmere mich um Williams«, sagte Gemma hastig und ließ Kincaid stehen. Einen Moment lang sah er den Leuten von der Spurensicherung zu, dann ging er vorsichtig um ihr Arbeitsgebiet herum zum Kühlschrank, öffnete ihn und inspizierte seinen Inhalt. Milch, Saft, Eier, Butter und, auf dem untersten Bord, ein Paket hausgemachte Nudeln und ein Plastikbehälter mit fertiger Tomatensoße, beide mit einem Sainsbury-Aufkleber versehen. Keiner der Behälter war geöffnet worden.
»Ich habe Brot und Käse genommen und den Damen ein paar Brote gemacht«, sagte jemand hinter ihm.
Kincaid richtete sich auf und drehte sich herum. »Ah, der Trostspender«, murmelte er, als er in das rosige Gesicht von Constable Darling blickte. »Das war sehr aufmerksam von Ihnen ...« Er schaffte es nicht, den Nachnamen anzufugen.
»Auf so einen Schock brauchte man was, das Leib und Seele zusammenhält«, erklärte Darling ernsthaft, »und es war ja keiner da, der sich um sie gekümmert hätte.«
»Nein, Sie haben ganz recht. Sonst erscheinen ja in so einer Situation meistens gleich irgendwelche hilfsbereiten und neugierigen Nachbarn. Oder auch Verwandte.«
»Mrs. Gilbert hat mir erzählt, daß ihre Eltern beide tot sind«, sagte Darling.
»Ach ja?« Kincaid musterte den Constable einen Moment, dann wies er zur Tür. »Kommen Sie, gehen wir hinaus, da ist es ruhiger.« Als sie in dem relativ stillen Flur waren, sagte er: »Sie haben ziemlich lange mit Mrs. Gilbert und ihrer Tochter zusammengesessen, nicht?«
»Mehrere Stunden, würde ich sagen.«
Eine Lampe auf dem Telefontisch beleuchtete Darlings Gesicht von unten und zeigte ein paar Falten in der Stirn und ein Netz von Fältchen an den Außenwinkeln seiner blauen Augen. Vielleicht war er gar nicht so jung, wie Kincaid auf den ersten Blick geglaubt hatte. »Sie scheinen mir die Situation sehr gut gemeistert zu haben«, bemerkte Kincaid, den die ruhige Selbstsicherheit des Mannes neugierig machte.
»Ich bin auf einem Bauernhof aufgewachsen, Sir. Da habe ich den Tod oft genug erlebt.« Er betrachtete Kincaid einen Moment, dann seufzte er. »Aber die Geschichte hier, die hat’s irgendwie in sich. Nicht nur, weil Commander Gilbert ein hochrangiger Beamter war. Und auch nicht wegen dieser Riesenschweinerei in der Küche.« Kincaid zog fragend eine Augenbraue hoch, und Darling fügte zögernd hinzu: »Es ist alles so - ich weiß auch nicht - so unangemessen.« Er schüttelte den Kopf. »Klingt blöd, ich weiß.«
»Nein, ich verstehe, was Sie meinen«, antwortete Kincaid. »Angemessen« wäre vielleicht nicht das Wort gewesen, das er bei einem Mord verwendet hätte, aber dieser Mord erschien tatsächlich wie ein greller Mißton in diesem Milieu. Gewalt hatte in einem so wohlgeordneten und disziplinierten Leben keinen
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