Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
aufeinander. Mit beiden Armen ihren Oberkörper umschlingend, sagte sie: »Sie hat es doch schon gesagt. Sie weiß es nicht.«
»Laß nur, Schatz.« Claire Gilbert riß sich aus ihrer Lethargie und richtete sich mit einer sichtlichen Anstrengung auf. »Es stimmt schon, was Lucy sagt, Superintendent. Es ist nicht - es war nicht die Gewohnheit meines Mannes, über Dienstliches mit mir zu sprechen. Er hat mir nicht gesagt, mit wem er verabredet war.« Sie stand auf. Einen Moment schwankte sie, und Lucy legte ihr hastig den Arm um die Schultern, um sie zu stützen.
»Bitte, Mami, laß das doch jetzt«, sagte sie und sah wieder Kincaid an. »Kann ich sie jetzt nicht nach oben bringen?« Auf Kincaid wirkte sie wie ein Kind, das tapfer versucht, die Rolle eines Erwachsenen zu übernehmen.
»Gibt es denn niemanden, den Sie holen können?« fragte Gemma, die ebenfalls aufgestanden war. »Eine Nachbarin oder Verwandte?«
»Wir brauchen niemanden. Wir werden schon allein fertig«, antwortete Lucy ein wenig brüsk. Dann schien ihre Tapferkeit sie zu verlassen, und sie fragte zaghaft: »Was wird jetzt - ich meine, mit dem Haus und so? Was passiert, wenn ...«
Deveney antwortete ihr in beruhigendem Ton, aber ohne Herablassung: »Bitte machen Sie sich keine Sorgen, Miss Penmaric. Ich bin sicher, daß die Person, die das getan hat, nicht zurückkommen wird. Und wir lassen die Nacht über jemanden hier, entweder in der Küche oder vor dem Haus.« Er hielt einen Moment inne, und sie hörten wieder das Winseln des Hundes. »Nehmen Sie doch den Hund einfach mit zu sich hinauf, wenn Sie sich dann wohler fühlen«, meinte er lächelnd.
Lucy überlegte mit ernstem Gesicht. »Ja, das würde ihm gefallen.«
»Wenn es sonst nichts mehr zu besprechen gibt. . .« Claire Gilbert konnte sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten, dennoch schaffte sie es, die Form zu wahren.
»Nein, das ist alles für heute abend, Mrs. Gilbert. Ich danke Ihnen beiden für Ihre Geduld«, sagte Kincaid und blieb schweigend neben Gemma und Deveney stehen, als Mutter und Tochter aus dem Zimmer gingen.
Als die Tür sich geschlossen hatte, schüttelte Nick Deveney den Kopf und fuhr sich mit der Hand durch das Haar. »Ich weiß nicht, ob ich unter solchen Umständen so tapfer durchgehalten hätte. Ein Glück für die beiden, daß sie einander haben, nicht wahr?«
In der Küche war die Spurensicherung noch mitten in der Arbeit, doch war Alastair Gilberts Leichnam inzwischen fortgebracht worden. Das getrocknete Blut bedeckte in Streifen und Wirbeln den Boden; es sah aus wie Malübungen eines Kindes mit Fingerfarben. Deveney entschuldigte sich bei Kin-caid und Gemma, die an der Tür stehengeblieben waren, und ging davon, um mit einem der Beamten zu sprechen.
Kincaid spürte, wie die Spannung, die ihn die letzten Stunden aufrechtgehalten hatte, nachließ. Als er den Kopf nach Gemma drehte, bemerkte er, daß sie ihn aufmerksam musterte. Die Sommersprossen in ihrem Gesicht, sonst kaum wahrnehmbar auf ihrer hellen Haut, hoben sich in scharfem Kontrast von der Blässe ihres Teints ab. Er fühlte plötzlich ihre Erschöpfung als wäre es seine eigene, und das vertraute, intime Bewußtsein ihrer Nähe durchzuckte ihn wie ein Schlag. Als er die Hand hob, um ihre Schulter zu berühren, begann sie zu sprechen, und sie erstarrten beide. Sie hatten ihre Unbefangenheit verloren, die ganze selbstverständliche Kameradschaftlichkeit, die sie so sorgfältig aufgebaut und gepflegt hatten, war dahin, und es schien ihm, als könnte sie selbst seine kleine Geste des Trosts mißverstehen. Verlegen senkte er die Hand und schob sie in die Hosentasche wie um sie der Versuchung zu entziehen.
Als Deveney zu ihnen zurückkehrte, entschuldigte sich Gemma abrupt und ging durch die Tür zum Vorraum hinaus, ohne ihn noch einmal anzusehen.
»Dr. Ling hat versprochen, die Obduktion für den frühen Morgen anzusetzen.« Deveney lehnte sich erschöpft an den Türpfosten und sah geistesabwesend zu, wie einer der Männer von der Spurensicherung Blutproben vom Küchenboden schabte. »Den Herren oben kann’s natürlich nicht schnell genug gehen. Ich lasse meine Leute gleich morgen in aller Frühe von Haus zu Haus traben ...« Er brach ab. Zum erstenmal spiegelte sich etwas wie mißtrauische Vorsicht in seinem Gesicht, als er Kincaid ansah. »Das heißt natürlich, wenn Ihnen das recht ist.«
Die Verteilung der Zuständigkeiten
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