Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
Es ist absurd. Ich habe richtige Gedächtnislücken. Die alltäglichsten Dinge fallen mir plötzlich nicht mehr ein. Ich weiß noch, als ...« Claire Gilbert hielt abrupt inne und schüttelte heftig den Kopf. »Das gehört nicht hierher. Das spielt jetzt keine Rolle. Vom Einkaufszentrum aus sind Lucy und ich zur High Street gegangen und haben bei Sainsbury’s ein paar Sachen für das Abendessen eingekauft. Als wir alles hatten und nach Hause gefahren sind, war es fast halb acht.«
Gemma schrieb eilig, bis sie alles auf dem Papier hatte, aber ehe sie eine Frage stellen konnte, begann Claire Gilbert wieder zu sprechen. »Muß ich ... das, was dann kam ... muß ich das noch einmal wiederholen?« Sie hob die Hand zum Hals, und Gemma sah das leichte Zittern ihrer Finger. Sie hatte kleine, feingliedrige Hände, schlanke Finger, deren Nägel sehr kurz waren.
»Nein, Mrs. Gilbert, im Moment nicht«, antwortete Gemma ein wenig zerstreut, während sie in ihren Aufzeichnungen zurückblätterte. Als sie zum Beginn des Gesprächs kam, hielt sie inne und sah Claire Gilbert an. »Aber berichten Sie uns über den früheren Teil des Nachmittags. Sie haben uns nicht gesagt, was Sie getan haben, bevor Sie nach Guildford gefahren sind.«
»Ich war arbeiten«, sagte Claire Gilbert mit einem Anflug von Ungeduld. »Ich war gerade erst ein paar Minuten zu Hause, als Lucy von der Schule kam - o Gott!« Sie schlug eine Hand auf ihren Mund. »Ich habe Malcolm noch gar nicht angerufen! Wie konnte ich das nur vergessen?«
»Malcolm?« Will zog eine Augenbraue hoch.
»Malcolm Reid.« Claire Gilbert stand auf und trat zum Fenster. Dort blieb sie stehen, ihnen den Rücken zugewandt. »Es ist sein Geschäft - seine Firma - und ich arbeite in dem Geschäft. Aber ich mache auch Beratungen.«
Gemma drehte sich auf dem Sofa und musterte mit zusammengekniffenen Augen Claire Gilberts vom Licht umflossene Silhouette. »Beratungen?« Sie hatte überhaupt nicht daran gedacht, daß Claire Gilbert berufstätig sein könnte; hatte sie automatisch in die Kategorie der verwöhnten Hausfrau eingereiht, deren anstrengendste Pflicht darin bestand, an den Treffen des Frauenvereins zur Förderung von Kunst und Kultur in ländlichen Gegenden teilzunehmen. Jetzt machte sie sich Vorwürfe wegen ihrer Nachlässigkeit. Vorgefaßte Meinungen waren bei der Ermittlungsarbeit gefährlich - und ein Zeichen dafür, daß sie mit ihren Gedanken nicht bei ihrer Arbeit war.
»Was ist das für eine Firma?« fragte sie, fest entschlossen, Claire Gilbert ihre ungeteilte Aufmerksamkeit zu widmen.
»Innenausstattung. Das Geschäft ist in Shere - es heißt Küchenkonzepte, aber wir beschränken uns nicht nur auf Kücheneinrichtungen.« Claire Gilbert sah auf ihre Uhr und runzelte die Stirn. »Es ist erst kurz vor neun - Malcolm wird mich noch nicht vermißt haben.« Ihr glattes helles Haar glänzte im Licht auf, als sie den Kopf schüttelte, und als sie sprach, schwankte ihre Stimme zum erstenmal. »Ich habe von dem Moment an, als ich heute morgen aufgewacht bin, nur daran gedacht, daß ich Gwen Bescheid sagen muß, und als ich das geschafft hatte - was bin ich doch für ein Dussel...« Sie brach ab und lachte plötzlich. »Gott, wann hat man diesen Ausdruck das letztemal gehört? Meine Mutter hat ihn immer gebraucht.« Ihr Lachen brach unvermittelt ab, und sie räusperte sich.
Will hatte Claire Gilberts Flucht zum Fenster genutzt, um aufzustehen und sich im Wintergarten umzusehen. Er war zu einer Kommode hinübergegangen, die an der hinteren Wand stand, und betrachtete eine Sammlung von Muscheln. »Sie dürfen nicht zu hart zu sich selbst sein«, sagte er, sich nach Claire Gilbert umdrehend. »Sie können nach diesem Schock nicht von sich verlangen, einfach so weiterzumachen, als wäre nichts geschehen.«
»Das sind Lucys.« Claire Gilbert trat neben ihn und nahm eine kleine grün-rot gefleckte Muschel. Sie drehte sie langsam in ihren Händen. »Sie hatte als Kind ein Buch über das Meer, das sie sehr geliebt hat, und seitdem sammelt sie Muscheln.« Sie legte die Muschel wieder an ihren Platz und schüttelte den Kopf, als wollte sie ihn freimachen. »Ich denke ständig, daß mein Mann von mir erwarten würde, daß ich vernünftig mit der Situation umgehe, und dann fällt mir ein ...« Ihre Stimme verklang. Den Blick auf die Muscheln gerichtet, stand sie mit schlaff herabhängenden Armen vor der Kommode. Dann schien sie sich mit aller
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