Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
entspannte sich wieder, zeigte Interesse, machte kein so finsteres Gesicht mehr; als hätte Gemma durch diese persönliche Bemerkung die Gleichstellung zwischen ihnen wiederhergestellt. »Aber richtig gekannt habe ich ihn natürlich nicht«, fuhr sie fort. »In Notting Hill waren wir mehr als vierhundert Beamte, und ich war ein viel zu kleines Mädchen, um von ihm überhaupt bemerkt zu werden. Er hat in der ganzen Zeit vielleicht zehn Worte mit mir gewechselt.«
Der Mann, den sie in Erinnerung hatte, schien ihr kaum etwas mit dem Toten zu tun zu haben, den sie in seinem Blut liegend auf dem Küchenboden im Haus der Gilberts gesehen hatte. Er war klein und adrett gewesen, kultiviert und sehr eigen in seiner Kleidung und seiner Ausdrucksweise, und hatte dem Fußvolk gelegentlich Vorträge über die Wichtigkeit von Regeln und Vorschriften gehalten.
»>Gilbert führt ein strenges Regiment^ hat mein Sergeant immer gesagt. Aber ich hatte nicht den Eindruck, daß es als Kompliment gemeint war.«
»Ja, stimmt, er wollte immer, daß sich alles nach ihm richtet.« Geoff brach einen Keks auseinander und schob die eine Hälfte in den Mund. Undeutlich sagte er: »Er hatte dauernd Zoff mit dem Gemeinderat wegen irgendwas, zum Beispiel wollte er unbedingt, daß rund um den Anger das Parken verboten wird, und solches Zeug.« Die zweite Hälfte des Biskuits folgte der ersten, dann schenkte Geoff ihnen beiden Tee nach. »Und vor ungefähr zwei Wochen hatte er Krach mit der Doktorin. Wenn man das einen Krach nennen kann, wenn keiner laut wird.«
»Ach was?« sagte Gemma. »Worum ging es denn da?«
»Keine Ahnung. Ich hab’s nicht gehört. Es war an einem Samstag, und ich helf ’ der Doktorin manchmal bei der Gartenarbeit und so, wissen Sie. Als ich zur Küchentür gegangen bin, weil ich sie was wegen dem Kompost fragen wollte, war Gilbert gerade dabei zu gehen. Aber es war was passiert - Sie wissen doch, manchmal spürt man so was einfach, es ist wie ein schlechter Geruch, der in der Luft hängen bleibt. Und Doc Wilson hat so ein verbissenes Gesicht gemacht.«
»Sie haben hier also eine Ärztin?« fragte Gemma.
»Wir sind ein richtig feministisches Dorf - eine Ärztin und eine Pfarrerin. Und ich glaub’, der Commander ist mit beiden nicht ausgekommen.«
Gemma erinnerte sich sehr wohl daran, wie Gilbert die Frauen in seiner Abteilung behandelt hatte; es hatte ans Herablassende gegrenzt. Und er war berüchtigt dafür gewesen, daß er Frauen einfach übersah, wenn eine Beförderung anstand.
»Ich kann es gar nicht erwarten, sie kennenzulernen«, sagte sie, mit dem Gedanken spielend, Kincaid ein Schnippchen zu schlagen und ohne vorherige Absprache mit ihm die Ärztin zu vernehmen.
»Gleich heute nachmittag?« Geoff musterte sie teilnahmsvoll. »Sie schauen total erledigt aus.«
»Danke.«
Geoff errötete unter ihrem Sarkasmus. »So hab’ ich’s nicht gemeint. Aber Sie schauen echt müde aus.«
»Ist schon in Ordnung«, sagte sie. »Vielleicht geh’ ich eine Weile rauf in mein Zimmer. Vielen Dank für Ihre Fürsorge. Ich wäre wahrscheinlich zusammengebrochen, wenn Sie mich nicht gerettet hätten.«
»Es war mir eine Ehre, edles Fräulein.« Er stand auf und machte eine kleine Verbeugung.
Gemma lachte. Wams und Strumpfhose, dachte sie, hätten ihm nicht schlecht gestanden.
Sie folgte ihm die Treppe hinauf. Als sie die Tür zu seinem Zimmer erreicht hatten, blieb er stehen. »Sagen Sie mir Bescheid, wenn Sie noch etwas brauchen. Ich bin jederzeit...«
Den Rest hörte Gemma nicht mehr. Ein Computer stand auf dem Schreibtisch auf der anderen Seite seines Zimmers, und sie starrte fasziniert auf das Bild auf dem Schirm. »Was ist das?« fragte sie, ohne den Blick von dem Bild zu wenden. Nebelschwaden schienen sich in der gespenstischen dreidimensionalen Szene zu drehen, dennoch konnte sie ein viel-türmiges Schloß erkennen und durch eines seiner Tore einen Blick auf grüne Wiesen und einen Pfad, der zu einem Berg führte.
»Das ist ein Rollenspiel, ein Abenteuer. Ein junges Mädchen findet sich in ein fremdes Land versetzt, und sie muß nun versuchen, allein mit Hilfe ihrer Geistesgegenwart, ihrer Geschicklichkeit und ihres geringen Wissens über Zauberei zu überleben. Nur wenn sie einem bestimmten Weg folgt und dabei verschiedene Talismane sammelt, kann sie die Geheimnisse des Landes entdecken, und dann besitzt sie die Macht, entweder zu bleiben
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