Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
Luft.
Im Pub roch es nach kaltem Zigarettenrauch. Es war keine Menschenseele zu sehen. Gemma wartete einige Minuten und wärmte sich die Hände am offenen Kamin, in dem noch die Asche vom Mittagsfeuer glühte. Ihr knurrte der Magen, und sie wurde sich plötzlich bewußt, daß sie völlig ausgehungert war. Ein anderer Tag in Surrey wurde lebendig, ein Tag, an dem sie und Kincaid im Garten einer Teestube gesessen hatten und später am Flußufer spazierengegangen waren.
Tränen brannten in ihren Augen. »Sei nicht so albern!« sagte sie laut und heftig zu sich selbst. Ihr fehlte nichts als eine Mütze voll Schlaf und ein Happen zu essen, sie sollte die Zeit, die sie jetzt für sich hatte, nutzen. Sie rieb sich energisch die Augen und ging zum Tresen, fand aber trotz intensiver Inspektion nicht einmal einen Beutel Chips. Oben, in ihrer Reisetasche hatte sie eine Packung Kekse - sie würde sich eben damit begnügen müssen.
Sie hatte sich auf bleiernen Füßen kaum die Hälfte der Treppe hinaufgeschleppt, als jemand von oben um die Ecke gesaust kam und direkt mit ihr zusammenprallte. Der Schlag gegen ihre rechte Schulter riß sie herum, sie verlor den Halt und setzte sich mit einem Plumps auf die Treppe.
»O Gott! Entschuldigen Sie. Ich hab’ Sie gar nicht gesehen - haben Sie sich weh getan?« Der junge Mann mit dem schulterlangen blonden Haar sah mit ängstlicher Besorgnis zu ihr hinunter. Etwas unschlüssig, als wüßte er nicht, ob er ihr helfen oder sich besser vor ihrem Zorn schützen solle, hielt er ihr eine Hand entgegen.
»Ich habe Sie gestern nacht gesehen«, sagte sie, noch zu benommen, um etwas Angemesseneres hervorzubringen. »Als ich aus dem Bad gekommen bin.«
»Ich bin Geoff.« Er senkte die Hand und lächelte zaghaft. »Haben Sie sich auch wirklich nichts getan? Nein? Ich hatte keine Ahnung, daß jemand im Haus ist...« Er verdrehte die Augen und murmelte: »Brian wird mir den Kragen umdrehen.«
Gemma musterte ihn. Pulli und Jeans, dicke Wollsocken, aber keine Schuhe. Kein Wunder, daß sie ihn nicht gehört hatte. »Es ist alles in Ordnung«, sagte sie. »Ich hab ja selbst nicht aufgepaßt.« Das ovale Gesicht mit den klaren grauen Augen gefiel ihr. Der kleine Schnurrbart, der seine Oberlippe zierte, war kaum mehr als zarter Flaum, dennoch mußte er, schätzte Gemma, mindestens Mitte Zwanzig sein. An den Winkeln der grauen Augen hatten sich schon die ersten feinen Fältchen zusammengezogen, und die Kerben zwischen Mund und Nase verrieten, daß er die frühe Jugend hinter sich hatte.
Wieder begann ihr Magen zu knurren, so laut, daß auch er es hören konnte, und sie sagte lachend: »Wenn Sie mir verraten, wo ich hier was zu essen finden kann, verzeihe ich Ihnen auf der Stelle.«
»Kommen Sie mit in die Küche, dann mach ich Ihnen ein Brot«, sagte er bereitwillig.
»Wirklich? Aber - geht das denn so einfach?« fragte sie, verwundert darüber, daß ein Gast sich hier solche Freiheiten erlauben konnte.
Einen Moment sah er sie verblüfft an, dann begriff er. »Ach so! Ich bin hier zu Hause. Das hätte ich Ihnen gleich sagen sollen. Ich bin Geoff Genovase - Brian ist mein Vater.«
Einen Moment sah sie ihn erstaunt an, dann rief sie: »So ist das! Natürlich! Das hätte ich eigentlich sehen müssen.« Jetzt, da sie es wußte, bemerkte sie die Ähnlichkeit in der Haltung seines Kopfes, im Mienenspiel seines Gesichts, wenn er lächelte. »Na, dann ist es sicher in Ordnung.«
Ein wenig unsicher folgte sie ihm in die Küche hinunter. Er ließ sie sich an einen kleinen Tisch setzen, der neben dem Gasherd eingezwängt war, öffnete dann den Kühlschrank und sah hinein. »Wie wär’s mit Käse und Gewürzgurken? So ein Brot wollte ich mir selbst eben machen.«
»Wunderbar.« Während er die Zutaten aus dem Kühlschrank nahm, sah sie sich um. Die Küche war klein, aber professionell ausgestattet, vom Herd aus rostfreiem Stahl bis zur narbigen Arbeitsplatte.
Geoff schnitt den krümeligen Cheddar auf und richtete die Brote mit einer Routiniertheit, der man ansah, daß er es gewöhnt war, in der Küche auszuhelfen. Zwei Minuten später brachte er zwei Teller mit dicken Vollkornbroten an den Tisch.
»Greifen Sie zu«, forderte er sie auf. »Nur keine falsche Höflichkeit. Ich hab das Wasser schon aufgesetzt. Gleich gibt’s Tee.«
Während Gemma in ihr Brot biß, füllte er eine braune Keramikkanne mit heißem Wasser, um sie vorzuwärmen.
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