Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
nicht zu Leuten wie mir. Ihr Zorn erlaubt ihnen nicht, Hilfe zu suchen. Sie tragen ihn wie einen Schild.«
»Und Claire Gilbert?«
»Ja, Claire ist meine Klientin.« Madeleine beugte sich vor und gruppierte sorgfältig die Teebecher auf dem Tablett. Dann sah sie Kincaid voll an. »Ich sehe, worauf Sie mit Ihrer Frage hinaus wollen, Superintendent, aber ich kann Ihnen da nicht weiterhelfen, tut mir leid. Ich kenne meine gesetzlichen Rechte nicht, aber ich weiß, daß ich aus ethischen Gründen alles, was meine Klienten mir im Lauf der Behandlung anvertrauen, für mich behalten muß.« Sie wies mit einer kurzen Geste zur Massagebank. »Die Aromatherapie wirkt sehr stark. Sie stimuliert Gehirn und Gedächtnis ganz direkt, ohne sich von dem intellektuellen Panzer abhalten zu lassen, mit dem wir unsere Erfahrungen umgeben. Häufig ermöglicht sie es den Klienten, Ängste und alte Traumata zu verarbeiten, und sie kann zu einer hochemotionalen Katharsis führen. Was in solchen Momenten enthüllt wird, könnte irreführend sein.«
»Soll das heißen, daß Claire Gilbert Ihnen derartiges enthüllt hat?« fragte Deveney. Kincaid hatte den Eindruck, daß er die Aggression gewählt hatte, um mit seinem eigenen Unbehagen fertigzuwerden.
»Nein, nein, natürlich nicht. Ich möchte lediglich zeigen, warum ich diese selbstauferlegte Zurückhaltung für notwendig erachte, wenn ich über meine Klienten spreche - und Claire ist da keine Ausnahme, trotz der tragischen Umstände.« Sie stand auf und nahm das Tablett. »Ich erwarte gleich einen Klienten, Superintendent. Ich glaube, er würde es etwas abschreckend finden, hier die Polizei anzutreffen.«
»Nur eines noch, Miss Wade. Wie stand Alastair Gilbert dazu, daß seine Frau Sie aufsuchte?«
Zum erstenmal spürte Kincaid ein Zögern. Sie verlagerte ihr Gewicht und stemmte das Tablett in die rechte Hüfte. Dann sagte sie: »Ich weiß nicht einmal, ob Claire mit ihm darüber gesprochen hat. Viele Leute ziehen es vor, über ihre Besuche bei mir mit niemandem zu sprechen, und ich respektiere das. Wenn Sie mich jetzt entschuldigen würden ...«
»Danke, daß Sie sich die Zeit genommen haben, Miss Wade.« Kincaid stand auf, und Deveney folgte. Sie ging ihnen voraus, stellte das Tablett in der Küche ab und brachte sie dann zur Tür. Kincaid nahm die dargebotene Hand. Seiner Erfahrung nach war der Händedruck von Frauen in zwei Kategorien einzuteilen - entweder schlaff und leblos oder übertrieben hart und herzlich; doch Madeleine Wades kräftiger, rascher Händedruck war der einer Frau, die in sich selbst ruhte.
Er drehte sich noch einmal nach ihr um, als sie die Tür geöffnet hatte. »Haben Sie je daran gedacht, zur Polizei zu gehen?«
Der Schwung ihrer Lippen, als sie lächelte, ließ ihre Nase noch dominanter wirken. In ihrer tiefen Stimme schwang wieder leise Erheiterung. »Ja, das habe ich mir tatsächlich überlegt. Der Gedanke, diesen geheimen Vorsprung zu haben, war verlockend, aber ich hatte Angst, es würde mich am Ende korrumpieren. Meinem Gefühl nach konnte ich innere Ausgeglichenheit nur finden, wenn ich anderen Trost und Heilung anbieten würde, und soviel ich weiß, gehört das nicht zum Aufgabenbereich der Polizei, Superintendent.«
»Können Sie Schuld sehen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Tut mir leid. Ich kann Ihnen da nicht helfen. Schuldgefühle bestehen aus einer Mischung von Emotionen - Zorn, Furcht, Reue, Mitleid -, die viel zu komplex ist, um sich in ihre Einzelteile zerlegen zu lassen. Im übrigen würde ich niemals einen solchen Hinweis geben, selbst wenn ich es könnte. Ich will diese Macht, diese Verantwortung nicht haben.«
Deveney wartete, bis sie in seinem Wagen saßen, ehe er explodierte. »Die ist genauso verrückt wie sie aussieht«, erklärte er heftig und drehte den Zündschlüssel mit einem wütenden Ruck. »Aura - daß ich nicht lache. Das ist doch nichts als ausgemachter Quatsch.«
Während Deveney schimpfte, dachte Kincaid über Gefühlseingebungen nach. Er vermutete, daß jeder gute Polizeibeamte sie hatte, sich sogar bis zu einem gewissen Grad auf sie verließ, aber offen gesprochen wurde kaum darüber. Sie hatten alle Kurse mitgemacht, in denen man sie gelehrt hatte, Körpersprache zu interpretieren, aber war das nicht vielleicht nur ein Mittel, die Intuition in einen leichter zu akzeptierenden Rahmen zu stecken?
Auf jeden Fall hielt er es für klug, Madeleine Wade gegenüber
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