Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
hätte. Kincaid vermutete, daß sie Harley Keith außerdem erlaubte, eine heimliche und uneingestandene Beziehung zu der Katze, die ja ein Stück von Jasmine war, aufrechtzuerhalten.
Er gab Sid einen letzten Klaps und setzte ihn zu Boden, löschte das Licht und ging auf seinen Balkon hinaus. Im dämmrigen Licht konnte er die roten Blätter der Blutpflaume des Majors sehen, die wie Wimpel an einem windstillen Tag schlaff herabhingen, und helle Flecken in den Gartenbeeten, die letzten gelben Chrysanthemen. Er war plötzlich tieftraurig, sein Schmerz so frisch und quälend wie in den ersten Wochen nach Jasmines Tod, aber er wußte, es würde vorübergehen. Eine neue Familie war unten in der Wohnung eingezogen, mit zwei kleinen Kindern, die den Garten nur unter der strengen Überwachung des Majors benutzen durften.
Die Kälte kroch ihm in die Knochen, während er noch eine Weile unschlüssig im Dunkeln stand. Er hatte Gemma in Dorking vom Bahnhof aus angerufen, dann noch einmal vom Victoria-Bahnhof aus und den Hörer weiter ans Ohr gedrückt, als er längst die Hoffnung aufgegeben hatte, daß sie sich melden würde. Er hatte so sehr gehofft, mit ihr zu sprechen, sie vielleicht sogar zu sehen; hatte gehofft, daß er im Lauf eines Gesprächs mit ihr beginnen könnte, das, was zwischen ihnen stand, langsam abzutragen.
* 8
Die Summtöne drangen aus weiter Ferne zu ihr und rissen sie in unerbittlicher Wiederholung aus den watteweichen Hüllen des Schlafs. Ihr Arm schien ihr bleischwer, zäh wie Sirup, als sie ihn unter der Decke hervorzog und nach dem Telefon tastete. »Hallo?« murmelte sie und merkte dann, daß sie den Hörer verkehrt herum hielt.
Nachdem sie ihn herumgedreht hatte, hörte sie Kincaid munter sagen: »Gemma, ich habe Sie doch hoffentlich nicht geweckt? Ich habe gestern abend schon versucht, Sie anzurufen, aber Sie waren nicht da.«
Sie warf einen Blick auf die Uhr und stöhnte auf. Um eine Stunde hatte sie verschlafen und nicht den blassesten Schimmer von einer Erinnerung, den Wecker abgestellt zu haben. Benebelt überlegte sie, ob sie ihn überhaupt gestellt hatte, als Kincaid sagte: »Wir treffen uns in Notting Hill.«
»In Notting Hill? Wozu denn das?« Sie schüttelte den Kopf, um wach zu werden.
»Ich möchte mir ein paar Unterlagen ansehen. Wie lange brauchen Sie?«
Sie versuchte, sich zusammenzureißen. »Eine Stunde.« Im Kopf überschlug sie rasch, daß sie es in dieser Zeit schaffen müßte, zu duschen, Toby bei Hazel abzugeben und mit der U-Bahn nach Notting Hill zu fahren. »Geben Sie mir eine Stunde.«
»Gut, ich erwarte Sie dann auf der Dienststelle. Tschüs.«
Langsam legte sie auf, während sie zurückdachte: der Wein, den sie bei Hazel getrunken hatte, die halbe Nacht im Sessel mit Toby auf dem Schoß. Dies war seit einer Woche die erste Nacht, die sie wieder in ihrem eigenen Bett geschlafen hatte - kein Wunder, daß sie so erschöpft gewesen war.
Mit diesem Gedanken verzogen sich die Reste von Schlafnebel, und sie wurde sich wieder bewußt, daß Duncan nicht mehr ihr vertrauter, zuverlässiger Freund und Partner war, sondern ein Fremder, dem mit Vorsicht zu begegnen war.
Es war, als wäre sie nie weg gewesen, dachte Gemma, als sie die Dienststelle Notting Hill betrat. Die blauen Drahtstühle im Vorraum waren noch dieselben, ebenso das schwarz-weiß gesprenkelte Linoleum. Sie hatte dieses Haus immer gern gehabt, ihm die unpraktische Raumaufteilung im Inneren um der symmetrischen Anmut seiner Fassade willen verziehen. Da es ein denkmalgeschützter Bau war, durften außen keinerlei Veränderungen vorgenommen werden und innen nur sehr geringfügige; man hatte sich also beholfen, so gut es ging.
Während sie am Empfangsschalter wartete, bis die Reihe an ihr war, stellte sie sich das tägliche Auf und Ab der vierhundert Beamten vor, die hier auf vier Stockwerken ihren Dienst taten, den Klatsch, die Langeweile, die plötzlichen Ausbrüche fieberhafter Aktivität, und bekam heftige Sehnsucht nach ihrem alten Leben. Alles war damals so viel weniger kompliziert gewesen. So schien es jedenfalls.
»Der Superintendent möchte, daß Sie gleich zur Kripo raufgehen«, sagte die freundliche, aber unbekannte junge Frau am Schalter. »Er ist im Vernehmungsraum B. Erster Stock.« Gemma dankte ihr höflich, obwohl sie die Kripo mit verbundenen Augen gefunden hätte.
Kincaid blickte auf und lächelte, als sie die Tür öffnete.
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