Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
erspart bleiben, sein Glas unauffällig in den nächsten Blumentopf zu kippen.
»Mr. Bainbridge, wir würden Ihnen gern einige ...«
»Ich muß sagen, Sie haben sich eine Menge Zeit gelassen. Ich habe Ihrem Constable bereits gestern gesagt, er soll mir einen leitenden Beamten vorbeischicken. Aber setzen Sie sich doch.« Bainbridge wies auf ein verstaubtes Brokatsofa und ließ sich selbst in einem Sessel nieder. »Ich verstehe natürlich, daß Sie Opfer der bürokratischen Mühlen sind.«
Kincaid, der gar nichts verstand, warf Deveney einen fragenden Blick zu. Der sah ihn nur leer an und schüttelte den Kopf. Kincaid setzte sich vorsichtig auf das Sofa und stellte sein Sherryglas auf den Beistelltisch. »Mr. Bainbridge«, sagte er vorsichtig, »vielleicht berichten Sie uns zunächst einmal, was genau Sie dem Constable mitgeteilt haben.«
Bainbridge lehnte sich in seinem Sessel zurück. Unter seinem zufriedenen Lächeln spannte sich die sowieso schon allzu straffe Haut seines Gesichts so stark, daß es aussah, als müßte sie jeden Moment reißen. Er nippte an seinem Sherry, räusperte sich, wischte dann ein Staubkorn von seinem Ärmel. Es war offen-sichtlich, daß Percy Bainbridge seinen großen Moment gründlich zu genießen gedachte.
»Ich hatte zu Abend gegessen und war gerade beim Abspülen«, begann er ziemlich enttäuschend. »Ich freute mich darauf, es mir für den Abend mit meinem geliebten Shelley gemütlich zu machen«, er legte eine Pause ein und zwinkerte Kincaid zu, »ich meine, den Dichter, verstehen Sie, Superintendent. Ich halte nichts vom Fernsehen. Das war noch nie mein Fall. Ich bin der Überzeugung, daß man stets darauf bedacht sein muß, seinen Geist zu schärfen, und es ist erwiesen, daß der Intellekt eines Menschen im direkten Verhältnis zur Anzahl der Stunden, die er vor dem Fernseher sitzt, verfällt. Aber ich schweife ab.« Er wedelte leicht und luftig mit den Fingern. »Ich habe die Gewohnheit, abends immer noch einen Spaziergang zu machen, und dieser Abend war keine Ausnahme.«
Kincaid nutzte die Atempause des Mannes. »Verzeihen Sie, Mr. Bainbridge, aber sprechen Sie vom Mittwoch, dem Abend, an dem Commander Gilbert getötet wurde?«
»Aber selbstverständlich, Superintendent«, antwortete Bainbridge ungehalten. »Wovon um Gottes willen sollte ich sonst sprechen?« Er trank zur Wiederherstellung seiner guten Laune einen Schluck Sherry. »Also, wie ich schon sagte, obwohl der Abend sehr feucht und neblig war, bin ich wie immer an die frische Luft gegangen. Ich war gerade bis zum Pub gekommen, als ich eine schattenhafte Gestalt die Gasse hinaufhuschen sah.« Sein Blick schoß erwartungsvoll von Kincaid zu Deveney.
»Was war das für eine Gestalt, Mr. Bainbridge?« fragte Kincaid sachlich. »War es ein Mann oder war es eine Frau?«
»Das kann ich wirklich nicht sagen, Superintendent. Ich weiß nur, daß sie sich sehr verstohlen bewegt hat und von einem Schatten zum nächsten gehuscht ist, und ich bin nicht bereit, meine Geschichte um der Dramatik willen auszuschmücken.«
Deveney beugte sich vor, das aufgeschlagene Heft auf den Knien. »Größe? Figur?«
Bainbridge schüttelte den Kopf.
»Können Sie uns etwas über die Kleidung sagen, Mr. Bainbridge, über das Haar dieser Person?« versuchte es Kincaid. »Sie haben vielleicht mehr wahrgenommen, als Ihnen bewußt ist. Denken Sie zurück - hat irgendein Teil der Gestalt Licht reflektiert?«
Bainbridge überlegte einen Moment, dann sagte er nicht mehr so sicher wie bisher: »Ich glaubte, einen hellen Schimmer zu sehen, das Gesicht nahm ich an, aber das ist alles. Sonst war alles dunkel.«
»Und wo genau in der Gasse war die Gestalt?«
»Gleich hinter dem Haus der Gilberts. Sie lief die Gasse hinauf in Richtung zum Frauenverein«, antwortete Bainbridge wieder mit mehr Sicherheit.
»Um welche Zeit war das?« fragte Deveney.
»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen.« Bainbridge zog einen kleinen Flunsch des Bedauerns.
»Wie bitte?« fragte Kincaid ungläubig.
»Ich habe meine Uhr in den Ruhestand versetzt, als ich selbst in den Ruhestand versetzt wurde, Superintendent.« Er kicherte affektiert. »Ich war mein Leben lang ein Sklave von Uhr und Glocke - ich fand, es wäre an der Zeit, mich endlich von solchen Zwängen zu befreien. Oh, in der Küche gibt es eine Uhr, aber wenn ich nicht gerade eine Verabredung habe, beachte ich sie gar
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