Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
eine Weste trug, ihm hin und wieder einen neugierigen Blick zuwarf.
Die Wärme des Feuers tat gut. Er streckte seine Beine unter dem Tisch aus und gab sich der angenehmen Müdigkeit hin, die sich nach ausgiebiger körperlicher Bewegung einzustellen pflegt. Während er sich nachdenklich umsah, wünschte er plötzlich, er wäre im Urlaub hier und könnte seinen Aufenthalt im Dorf und den Umgang mit seinen Bewohnern ohne Hintergedanken genießen, würde einfach um seiner selbst willen akzeptiert.
Lächelnd über die Vergeblichkeit seines Wunsches sagte er sich, ebensogut könnte er sich einen Fall wünschen, bei dem das Opfer ein Heiliger war und alle Verdächtigen von Grund auf unsympathisch. Das würde alles soviel einfacher machen, aber Heilige wurden, seiner Erfahrung nach, selten ermordet.
Im dichten Gedränge an der Bar bemerkte er unerwartet Lucy. Sie mußte durch die Hintertür oder von oben gekommen sein, sonst hätte er sie eintreten sehen. Sie sprach mit jemandem, und als das Gewühl sich lichtete, sah er, daß es Geoff war.
In Jeans und einem Flanellhemd, das ihr mehrere Nummern zu groß war, wirkte sie sehr kindlich, doch während Kincaid sie beobachtete, trat sie einen Schritt näher an Geoff heran und legte ihm mit einer Geste, die provokativ und besitzergreifend zugleich wirkte, den Arm um die Mitte. Geoff sah lächelnd zu ihr hinunter, aber er berührte sie nicht. Wenig später verschwanden die beiden auf einen Zuruf von Brian in der Küche.
Kincaid leerte sein Glas allein und ungestört und glitt zur Tür hinaus, ohne daß jemand von seinem Verschwinden Notiz nahm. Er ließ seinen Wagen am Anger stehen und ging zu Fuß durch das dunkle Dorf, den gleichen Weg nehmend wie zu Beginn seines Nachmittagsspaziergangs.
Madeleine Wades Treppe war immer noch unbeleuchtet, aber diesmal fand er sich schon besser zurecht. Als sie ihm auf sein Klopfen öffnete, sagte er lächelnd: »Sie dürfen ruhig sagen, daß ich penetrant bin.«
»Ich hab’ den Wein schon aufgemacht und für Sie mitgedeckt.«
Sie trat zur Seite, um ihn einzulassen, und er sah, daß sie den kleinen Klapptisch neben dem Sofa aufgestellt und in der Tat für zwei gedeckt hatte.
Langsam trat er näher. »Sie werden mir richtig unheimlich, Madeleine. Betätigen Sie sich jetzt auch noch als Seherin?«
Sie zuckte die Achseln. »Nein, bestimmt nicht. Ich hatte nur heute abend so ein eigenartiges Gefühl und da hab’ ich eben beschlossen, es zu riskieren, mich lächerlich zu machen. Wenn ich mich geirrt hätte, hätte es außer mir ja sowieso keiner gemerkt, und Sie müssen zugeben, die Wirkung ist gut. Im übrigen könnte ich das gleiche von Ihnen sagen.«
»Ich bin Ihnen unheimlich?« fragte er überrascht.
»Ich komme mir manchmal ein bißchen vor wie das Kaninchen vor der Schlange - es ist aufregend, aber ich weiß nie, wann Sie zuschlagen werden. Kommen Sie, setzen Sie sich, dann schenke ich uns ein Glas Wein ein.«
»Ich verspreche Ihnen, daß ich nicht gekommen bin, um zuzuschlagen«, sagte er, als er am Tisch Platz nahm. »Und da wir gerade bei den Geständnissen sind, muß ich bekennen, daß ich mich noch nicht an das Gefühl gewöhnt habe, ein offenes Buch zu sein, und ich auch nicht behaupten kann, daß es mir sonderlich behagt.«
Diesmal hatte sie klassische Musik aufgelegt - Mozart, dachte er, ein Violinkonzert -, und auf Tisch und Fensterbrett standen brennende Kerzen.
»Aber Sie tragen es mit Würde«, meinte sie, mit einem Tablett aus der Küche kommend. Sie stellte eine gemischte Platte auf den Tisch, füllte sein Glas und setzte sich ebenfalls.
Kincaid stieß einen leisen Pfiff aus, als er das Etikett auf der Weinflasche las. »Den haben Sie aber nicht von Sainsbury’s.« Die Platte war genauso einladend - verschiedene Käse, Räucherlachs, frische Früchte und Kräcker. »Sie verwöhnen mich«, sagte er, das Bukett des Weins schnuppernd, ehe er den ersten Schluck trank.
»Oh, ich glaube, da besteht wenig Aussicht. Sie werden gar nicht lange genug hier sein. Sie werden diesen Fall zum Abschluß bringen - daran habe ich keinen Zweifel.« Sie sah ihn an. »Und dann werden Sie in Ihr eigenes Leben zurückkehren und Holmbury St. Mary vergessen.«
Einen Moment lang glaubte Kincaid, eine Spur Bedauern hinter der Erheiterung in ihrer Stimme zu hören. »Ich weiß gar nicht, ob ich neben meiner Arbeit ein eigenes Leben habe«, erwiderte er und legte eine
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