Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
wäre, hätte sie wieder eine Gelegenheit gesucht, um mich zu prüfen - vielleicht wenn ich gerade einen wichtigen Fall bearbeitet hätte.
Aber lange Zeit brauchte ich einen Sündenbock, und da kam mir Alastair Gilbert gerade recht.« Er lächelte trübe. Dann nahm er einen Kräcker und bestrich ihn mit Käse.
Madeleine füllte sein Glas auf. »Man braucht nicht Sherlock Holmes zu sein, um zu erkennen, daß außer Ihnen und den Genovases auch andere mit Gilbert eine Rechnung zu begleichen hatten. Woher wissen Sie, wo Sie anfangen sollen?«
»Wir wissen es eben nicht. Der Mann war wie ein Virus - er hat alles infiziert, was er angefaßt hat. Wir können unmöglich jeden einzelnen aufspüren, mit dem er mal zu tun hatte.«
»Ich spüre, wie Ihre Frustration ansteigt«, bemerkte Madeleine lächelnd. »Und das wollte ich nun gar nicht.»
»Tut mir leid.« Er beobachtete sie, während sie sich vom Lachs nahm und ein Brötchen machte. Diese Frau machte ihn neugierig, aber er zögerte, ihre Grenzen zu erproben. Nach einem kleinen Schweigen sagte er vorsichtig: »Madeleine, gibt es eigentlich Menschen, mit denen Sie sich wirklich wohlfühlen?«
»Wenige.« Sie seufzte. »Die Bedürftigen sind die schlimmsten, glaube ich; die, die ständig um Aufmerksamkeit betteln, um Bestätigung ihres Existenzrechts. Sie sind noch bedrängender als die Wütenden.«
»Ist Geoff so?«
Mit einem Kopfschütteln sagte sie: »Nein. Geoff ist keiner, der einen aussaugt - so sehe ich diese Menschen -, oder wenn er doch zu diesen Leuten gehört, holt er sich seine Sicherheit bei einigen wenigen. Bei seinem Vater und vielleicht bei Lucy.«
Kincaid dachte an die Szene, die er in der Bar beobachtet hatte. »Madeleine, was glauben Sie, wie früher emotionaler und wahrscheinlich auch sexueller Mißbrauch sich auf die Einstellung eines jungen Mannes zur Sexualität auswirken würde?«
»Ich bin keine Psychologin.« Sie biß in einen grünen Apfel.
»Aber Sie besitzen eine bessere Wahrnehmungsgabe als die meisten.« Er sah sie mit einem aufmunternden Lächeln an.
»Wenn Sie von Geoff sprechen, und das nehme ich an, da ich seine Geschichte kenne, würde ich sagen, daß es zwei mögliche Entwicklungen gibt. Er gibt den Mißbrauch weiter. Oder ...« Sie starrte ins Leere, während sie überlegte. »Er könnte Sexualität mit Versagen und Verlassenwerden assoziieren.«
»So daß er bei einem Menschen, den er mag, niemals dieses Risiko eingehen würde?«
»Sie sollten meine Spekulationen nicht zu ernst nehmen. Das ist reine Amateurpsychologie.« Sie schob ihren Teller weg, nahm ihr Weinglas und lehnte sich zurück.
»Erzählen Sie mir ein bißchen was darüber, was Sie beruflich machen«, sagte Kincaid, der noch aß. »Behandeln Sie Verletzungen mit Massage?«
»Manchmal. Es ist ja nicht nur eine Therapie zur Entspannung - sie regt das Lymphsystem des Körpers zu wirksamerer Funktion an, und das wiederum beschleunigt die Abführung von Giften und die Heilung.« Madeleine sprach ernst und sachlich, ohne die leise Erheiterung in der Stimme, die ihr, wie er vermutete, als Schutz diente.
»Ja, das kann ich mir vorstellen. Ich hoffe, Sie sind zur Stelle, wenn ich jemals Ihre Behandlung brauchen sollte. Sie müssen Claire eine große Hilfe gewesen sein, als Sie sich diesen bösen Bruch zugezogen hatte.« Er bemerkte es wie beiläufig und hoffte, Madeleine würde von seinem schlechten Gewissen über diesen, wie er es sah, Mißbrauch ihres Vertrauens nichts merken.
»Ja, sie hat damals ziemlich gelitten. Es ist erstaunlich, wie einem so ein alberner Schlüsselbeinbruch zusetzen kann.« Sie lächelte unbefangen.
So sehr es ihn kribbelte, er hakte nicht nach. Es gab andere Informationsquellen, und er wollte sich Madeleines Vertrauen nicht verscherzen. »Ich hab mir als Kind auch mal das Schlüsselbein gebrochen. Ich bin von einem Stuhl gestürzt, man stelle sich das vor, aber ich kann mich gar nicht mehr daran erinnern. Meine Mutter hat mir erzählt, ich hätte ihr das Leben zur Hölle gemacht. Ich wollte einfach die Schlinge nicht tragen.«
Madeleine öffnete eine weitere Flasche, während sie sich unterhielten, und er ihr Dinge aus seiner Kindheit erzählte, an die er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte.
»Ich hatte Glück«, meinte er schließlich. »Ich hatte liebevolle Eltern und ein geborgenes Zuhause, in dem die Liebe zum Lernen um des Lernens willen eine
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