Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
dunkelblaues Kostüm wirkte wie aus einem Ramschladen neben Tommy Godwins lässiger Eleganz. Alles an diesem Mann, vom rohseidenen Jackett bis zum Glanz seiner handgefertigten Slippers verriet Geschmack und Geld. Selbst seinem hellen, von leichtem Grau durchzogenen Haar sah man es an, daß er zu einem teuren Friseur ging, und sein langer, dünner Körper eignete sich vorzüglich, das Flair eleganter Nonchalance zur Geltung zu bringen. Da kam man mit ein paar Bürstenstrichen und nachgezogenen Lippen wohl kaum dagegen an, doch Gemma tat ihr Bestes, straffte ihre Schultern und ging hinaus, um das Gespräch anzupacken.
Er stand so lässig wie zuvor an der Rezeption. »Nun, Sergeant, haben Sie sich ein wenig erholt?«
»Danke, ja. Können wir uns hier irgendwo unterhalten?«
»Wenn wir Glück haben, gönnt man uns vielleicht fünf ungestörte Minuten in meinem Büro. Die Treppe hinauf, bitte.« Er legte ihr leicht die Hand auf den Rücken, als wollte er sie vorwärtsschieben, und Gemma hatte das Gefühl, wieder ausmanövriert worden zu sein. »Offiziell ist das hier das Einkaufsbüro«, fuhr er fort, als er sie oben durch eine Tür führte, »aber wir benützen es alle. Wie Sie wohl sehen.«
Nirgends in dem kleinen Raum schien es eine freie Fläche zu geben - Papiere und Kostümskizzen stapelten sich auf den Arbeitstischen, Stoffballen lehnten wie alte Säufer, die sich gegenseitig stützen müssen, an den Wänden, und in den Regalen reihten sich zahllose große, schwarz eingebundene Bücher. »Die Bibeln«, bemerkte Godwin, als er ihren Blick sah. Lächelnd angesichts ihrer Verblüffung fügte er hinzu: »So nennen wir die Bücher. Schauen Sie.« Er fuhr mit dem Finger die Buchrücken entlang, zog dann eines der Bücher heraus und schlug es auf dem Arbeitstisch auf. »Kurt Weills Street Scene. Jede Inszenierung im Repertoire hat ihre eigene Bibel, und solange diese Inszenierung auf die Bühne kommt, hält man sich bis ins kleinste Detail an die Bibel.«
Unter Gemmas fasziniertem Blick blätterte er das Buch langsam durch. Die ausführlichen Beschreibungen von Bühnenbildern und Kostümen waren von kolorierten Skizzen begleitet, und zu jedem Kostüm waren die entsprechenden Stoffmuster eingeklebt. Sie berührte das Fetzchen roten Satins, das neben einem weiten, gebauschten Rock leuchtete. »Ich dachte immer - ich dachte, jedesmal, wenn eine Oper aufgeführt wird, ist es was Neues.«
»O nein, durchaus nicht. Inszenierungen bleiben manchmal bis zu zehn oder fünfzehn Jahren im Repertoire und werden oft an andere Bühnen ausgeliehen. Diese Inszenierung hier zum Beispiel« - er tippte auf das Buch - »ist ein paar Jahre alt, aber wenn sie nächstes Jahr in Mailand oder Santa Fe gebracht werden sollte, muß der dortige Kostümier dafür sorgen, daß genau dieser Stoff verwendet wird, wenn möglich sogar vom selben Farbmuster.« Behutsam klappte er das Buch zu, setzte sich auf einen Hocker und schlug die Beine in der perfekt gebügelten Hose übereinander. »Es gibt ein paar neue Regisseure, die darauf bestehen, daß eine Inszenierung von ihnen nur unter ihrer Leitung gespielt werden darf, ganz gleich, wo. Emporkömmlinge!«
Gemma riß sich aus ihrer Faszination und kam entschlossen zur Sache. »Mr. Godwin, wie ich hörte, waren Sie bei der Aufführung am letzten Donnerstag abend im Coliseum.«
»Aha, jetzt kommen wir zum Thema, wie, Sergeant?« Mit gespielter Enttäuschung schüttelte er den Kopf. »Nun ja, was sein muß, muß sein. Ja, ich war auf einen Sprung dort. Es ist eine neue Inszenierung. Da seh ich immer gern mal nach dem Rechten. Kostüme müssen sitzen, sonst wirken sie nicht.«
»Und ist es auch Ihre Gewohnheit, nach der Vorstellung Sir Gerald Asherton aufzusuchen?«
»Aha, ich sehe schon, Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, Sergeant.« Godwin lächelte strahlend, als wäre er stolz auf ihre Klugheit. »Gerald war an dem Abend in besonders guter Form - ich fand es nur recht und billig, ihm das zu sagen.«
Zunehmend gereizt von Tommy Godwins Verhalten, sagte Gemma: »Sir, ich bin, wie Sie wohl wissen, wegen des Todes von Sir Geralds Schwiegersohn hier. Soviel ich weiß, kennen Sie die Familie seit Jahren, und ich muß sagen, unter den gegebenen Umständen finde ich Ihre Haltung etwas sehr lässig, oder sind Sie da anderer Meinung?«
Einen Moment lang sah er sie scharf an, dann erschien wieder das unbekümmerte Lächeln. »Ich verdiene es sicher, wegen
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