Deborah Crombie - 03 Und Ruhe in Frieden 04 Kein Grund zur Trauer
meines mangelnden Bedauerns zurechtgewiesen zu werden, Sergeant«, sagte er und schnalzte einmal kurz mit der Zunge. »Ich kenne Gerald und Caroline praktisch, seit wir noch in den Windeln waren.« Als er Gemmas Ungläubigkeit sah, zog er eine Augenbraue hoch. »Naja, zumindest in Julias Fall trifft das im wahrsten Sinne des Wortes zu. Ich war damals ein kleiner Piefke, Assistent des Kostümschneiders. Heutzutage braucht man drei Jahre an der Schule für Design, um sich für diesen Job zu qualifizieren, aber damals sind die meisten von uns einfach irgendwie hineingestolpert. Meine Mutter war Schneiderin - mit zehn Jahren kannte ich eine Nähmaschine in- und auswendig.«
Wenn das wirklich zutraf, sagte sich Gemma, konnte man nur bewundern, welchen Schliff er sich im Lauf der Jahre zugelegt hatte.
Er bemerkte ihre Überraschung und sagte mit diesem Lächeln, das nicht totzukriegen war: »Ich habe außerdem ein starkes Nachahmungstalent, Sergeant, das ich mir zunutze gemacht habe.
Die kleinen Gehilfen der Schneiderwerkstatt haben natürlich bei den Anproben der Stars nichts zu suchen, aber manchmal dürfen sie die weniger prominenten betreuen, die Sterne, die nicht mehr so hell leuchten, und die, die erst aufgehen. Caro war damals noch eine Anfängerin, ihr phantastisches Talent war noch nicht voll ausgebildet, aber sie hatte ein hohes Potential. Gerald entdeckte sie im Chor und hat sie protegiert. Er ist dreizehn Jahre älter als sie - wußten Sie das, Sergeant?« Godwin neigte den Kopf ein wenig zur Seite und musterte sie kritisch, als wollte er sich vergewissern, daß er die volle Aufmerksamkeit seiner Schülerin hatte. »Er hatte einen Ruf, auf den er Rücksicht nehmen mußte, und - ach Gott, war das damals ein Getuschel und Gezischel, als er sie geheiratet hat.«
»Aber ich dachte -«
»Oh, daran erinnert sich heute natürlich keiner mehr. Das ist alles eine Ewigkeit her.«
Der Anflug von Müdigkeit in seiner Stimme weckte ihre Neugier. »Und so haben Sie Dame Caroline kennengelernt, bei der Anprobe?«
»Sehr scharfsichtig bemerkt, Sergeant. Caro hatte Gerald inzwischen geheiratet und Julia geboren. Manchmal brachte sie Julia zu den Anproben mit - alle waren natürlich hingerissen - aber selbst damals dachte Julia gar nicht daran, sich beeindruckt zu zeigen.«
»Beeindruckt wovon, Mr. Godwin? Ich kann Ihnen da nicht ganz folgen.«
»Na, von der Musik im allgemeinen und von der ganzen überdimensionalen Glitzerwelt der Oper im besonderen.« Er glitt vom Hocker und ging zum Fenster. Die Hände in den Hosentaschen, blieb er stehen und blickte zur Straße hinunter. »Es ist wie ein Bazillus oder ein Virus, und ich glaube, manche Menschen haben eine Veranlagung, ihn sich einzufangen. Vielleicht ist es Vererbung.« Er drehte sich herum und sah sie an. »Was meinen Sie, Sergeant?«
Gemma blätterte in den Kostümskizzen, die lose auf dem Tisch lagen, und erinnerte sich ihrer Verzauberung, als sie zum erstenmal das Finale der Traviata gehört hatte. »Diese - Veranlagung hat mit Erziehung nichts zu tun?«
»In meinem Fall gewiß nicht. Obwohl meine Mutter während des Krieges eine gewisse Vorliebe für Tanzorchester hatte.« Die Hände noch immer in den Hosentaschen, machte er anmutig einen kleinen Tanzschritt und sah Gemma dann an. »Ich habe mir immer vorgestellt, daß ich nach einem Tanzabend mit Glen Miller oder Benny Goodman gezeugt worden bin«, fügte er mit leichtem Spott hinzu. »Was Caroline und Gerald angeht, so vermute ich, ihnen ist niemals der Gedanke gekommen, daß Julia ihre Sprache nicht sprechen würde.«
»Und Matthew?«
»Oh, Matty - das war etwas ganz anderes.« Noch während er sprach, wandte er sich wieder ab. Dann schwieg er abrupt, den Blick zum Fenster hinausgerichtet.
Wieso, fragte sich Gemma, stoße ich jedesmal, wenn ich das Gespräch auf Matthew Asherton bringe, auf diese steinerne Mauer? Sie erinnerte sich an Vivian Plumleys Worte >darüber sprechen wir nicht< und meinte, ein Zeitraum von zwanzig Jahren hätte die Wunden eigentlich heilen lassen müssen.
»Nachdem Caro sich zurückgezogen hatte, verlor alles irgendwie an Glanz«, sagte Godwin leise. Er wandte sich Gemma zu. »Sagt man nicht so, Sergeant, daß man die besten Zeiten seines Lebens erst in der Rückschau erkennt?«
»Das weiß ich nicht, Sir. Mir erscheint das ein wenig zynisch.«
»Oh, aber Sie haben sich widersprochen, Sergeant. Ich sehe Ihnen
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