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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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er einschenkte, »Die Herrschaften haben sich nach Victoria McClellan erkundigt.«
      »Eine schreckliche Geschichte!« Margery schüttelte den Kopf. »Ich bin ihr mehrfach begegnet, wissen Sie? Bei Fakultätsfeiern. Sie war eine ausgesprochen charmante Frau. Man erwartet einfach nie, daß so etwas einem Menschen zustößt, den man kennt.« Sie sah Ralph an, der ihr das Sherryglas reichte. »Das läßt unser kleines Projekt regelrecht frivol erscheinen, nicht wahr?«
      Ralph reichte Gemma und Kincaid je ein Glas. »Dem armen Henry wäre das nie frivol erschienen.«
      »Und welches Projekt ist das, Dame Margery?« erkundigte sich Gemma prompt.
      »Ich habe Ralph geholfen, Henry Whitecliffs Aufzeichnungen aufzubereiten, damit sie endlich veröffentlicht werden können. Der arme Henry ist vergangenen Sommer gestorben, bevor er sein Manuskript fertigstellen konnte.« Margery prostete Ralph zu, der sich ebenfalls einen Sherry genehmigte.
      »Zum Wohl!« sagte sie und nippte an ihrem Glas.
      »Der Name sagt mir etwas«, murmelte Kincaid nachdenklich. »Aber warum wird er nur immer als der >arme Henry< bezeichnet?«
      »Das ist ganz unbewußt, schätze ich«, seufzte Margery. »Aber es sieht so aus, als habe der arme Henry ... Sehen Sie, jetzt ist es mir schon wieder rausgerutscht.« Sie lächelte und korrigierte sich: »Es sieht so aus, als habe Henry Whitecliff mehr als das übliche Bündel im Leben zu tragen gehabt. Dabei war er ein wunderbarer, freundlicher Mann, der es am wenigsten verdient hätte.«
      Ralph kehrte zu seinem Platz auf der Schreibtischkante zurück. »Henrys einzige Tochter ist kurz vor ihrem sechzehnten Geburtstag spurlos verschwunden. Ich erinnere mich vage an sie - wir waren ungefähr gleich alt, gingen aber nicht auf dieselbe Schule.«
      »Verity war ein bezauberndes Mädchen. Sehr intelligent, freundlich, wenn auch etwas eigenwillig - genau der Typ, der sich versucht gefühlt hätte, sich ins Swinging London von damals zu stürzen, nachdem es Krach mit den Eltern gegeben hatte. Henry und Betty waren untröstlich. Jahrelang sind sie der kleinsten Spur nachgegangen und haben immer gehofft, daß sie eines Tages nach Hause zurückkehren würde. Dann bekam Betty Krebs.« Margery verstummte und umfaßte den Stil ihres Glases mit beiden Händen. Kincaid fiel auf, daß sie noch immer schöne Hände hatte. Wenn auch blaue Adern auf den Handrücken hervortraten und die Knöchel leicht verdickt waren, als leide sie an Arthritis.
      Nach einem besorgten Blick auf Margery spann Ralph die Geschichte weiter. »Nach Bettys Tod zog sich Henry vom Posten des Dekans der Englischen Fakultät zurück und begann sein Buch zu schreiben. Eine umfassende Geschichte von Cambridge. Er wollte es Verity widmen. Ich glaube, der Gedanke hat ihn jahrelang am Leben erhalten. Dann hat er sich eines Abends im vergangenen Sommer ins Bett gelegt und ist anderntags nicht mehr aufgewacht.« Er zuckte mit den Schultern. »Die Leute empfinden einen solchen Tod als einen Segen. Ich finde ihn unfair. Es bleibt einem keine Chance, Unvollendetes zu vollenden oder sich zu verabschieden.«
      Wäre es besser gewesen, wenn er Gelegenheit gehabt hätte, Vic Adieu zu sagen? All die Dinge zu sagen, die er vielleicht gesagt hätte? Kincaid konzentrierte sich wieder auf Margery.
      »... haben Ralph und ich beschlossen, das Manuskript zu vollenden und zu verlegen«, erklärte Margery. »Ein Akt der Liebe, wenn Sie so wollen.«
      Ralph klopfte mit der flachen Hand auf ein dickes Manuskript in der Mitte seines Schreibtischs. Er starrte einen Moment darauf, dann sah er stirnrunzelnd zu Kincaid auf. »Diese Gedichte, von denen Sie sprachen - ich möchte sie gern sehen. Ich bin nicht so ... beschlagen, was Lydias Werk angeht, wie Dr. McClellan. Aber möglicherweise kann ich wirklich sagen, ob sie zum Manuskript gehört haben. Die Idee, daß Seiten eines mir anvertrauten Manuskripts sich selbständig gemacht haben könnten, gefällt mir überhaupt nicht.« Er sah Magery an und fügte hinzu: »Die Herrschaften sagen, daß Dr. McClellan Gedichte gefunden hat, die in Lydias letztem Band hätten veröffentlicht werden sollen.«
      »Wenn ich sie hätte, würde ich Sie Ihnen gern zeigen«, erwiderte Kincaid. »Aber wir konnten sie bei Dr. McClellans Unterlagen nicht finden. Sie sind verschwunden.«
      »Wie merkwürdig«, sagte Margery nachdenklich. Ihr Blick ruhte noch immer auf Henry Whitecliffs Manuskript. »Jetzt gibt

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