Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
oder zwei Stunden«, fügte sie hinzu und legte auf.
Kincaid betrachtete Kit, der aufmerksam zugehört hatte, obwohl sein Frühstück gekommen war. »Wir besuchen erst mal Gemma«, erklärte er. »Einverstanden?«
Statt einer Antwort runzelte Kit die Stirn. »Ich wußte gar nicht, daß du die Millers kennst.«
»Sie haben sich Sorgen um dich gemacht. Gemma und ich haben uns Sorgen gemacht. Und ich schätze, all die Freunde, die Laura Miller angerufen hat, haben sich auch Sorgen gemacht.«
Kit wirkte betreten. »Daran habe ich nicht gedacht. Ehrlich. Ich wollte nur ...«
»Ich weiß. Gelegentlich verlieren wir den Überblick.« Kincaid zeichnete mit der Gabel einen Bogen in die Luft. »Iß dein Frühstück. So viele Stunden ohne Futter schaden dem Wachstum.«
»Du klingst wie Mum«, sagte Kit und konzentrierte sich auf sein Würstchen. Er aß eine Weile schweigend, dann sah er Kincaid an. »Es hat nichts genützt, weißt du? Ich meine, nach Hause zu fahren. Das hat sie auch nicht zurückgebracht.«
Gemma stand an der Spüle von Hazel und Tims Küche und machte nach dem Sonntagsessen den Abwasch. Kit hatte zwei große Portionen von Hazels Spaghetti vertilgt. Und das, nachdem er spät gefrühstückt hatte.
Seine anfängliche Zurückhaltung hatte er schnell abgelegt, wozu die vorbehaltlose und klettenhafte Bewunderung von Toby und Holly sicher mit beigetragen hatte. Hazel und Tim hatten ihn liebevoll, aber ohne großes Aufheben willkommen geheißen, und nach dem Essen hatte Hazel taktvoll vorgeschlagen, er möge Tess doch in der großen Badewanne im ersten Stock baden. Jetzt verpaßten er und Kincaid der Hundedame vor dem Kamin im Wohnzimmer eine Föhnfrisur. Die Kleinen waren natürlich dabei, waren dem Vorgang jedoch eher hinderlich, wie Gemma vermutete. Hazel und Tim nutzten die Gelegenheit zu einem Spaziergang.
Gemma war froh, ein paar Minuten für sich allein zu haben. Der Anblick von Duncan und Kit hatte ihr ganz unerwartet ein seltsames Gefühl beschert. Es kam ihr so vor, als habe das Wissen um die mögliche Verwandtschaft zwischen den beiden ihre Wahrnehmung verändert, denn jetzt fand sie die Ähnlichkeit zwischen ihnen so eindeutig, daß sie selbst nicht begriff, wie ihr das hatte entgehen können. Worauf sie allerdings nicht vorbereitet gewesen war, war die geradezu schmerzhafte Zärtlichkeit, die sie gegenüber beiden empfand. In diese mischte sich jedoch die Unsicherheit darüber, wie es mit Kit weitergehen sollte und wie Kit ihrer aller Leben verändern würde.
Die Tür ging auf, Kincaid kam herein und klopfte sich Hundehaare von seinem Pullover. »Ich stinke bestimmt nach nassem Hund«, sagte er grinsend. »Aber dafür riecht Tess jetzt eindeutig besser. Als nächstes müssen wir Kit in die Badewanne kriegen.«
Gemma trocknete die Hände an einem Geschirrtuch, ging zu ihm und schlang die Arme um seine Taille. Sie sah ihm in die Augen. »Jetzt hast du keine Zweifel mehr, oder?«
Er zog sie an sich und strich ihr übers Haar. »Nein«, sagte er leise. »Aber das macht mir angst. Es ist zu komisch ... ich hatte bereits zu fürchten begonnen, daß es vielleicht doch nicht wahr ist. Was passiert, wenn Ian McClellan zurückkommt und ihn mit nach Frankreich nimmt?«
Gemma löste sich von ihm, damit sie ihm ins Gesicht sehen konnte. »So weit sollten wir nicht denken. Ich koche uns eine Tasse Tee und erzähle dir dann, was hier alles passiert ist.«
Er ließ sie gehen, und kurz darauf kam Gemma mit zwei dampfenden Tassen Tee an den Küchentisch. »Was hat sein Großvater gesagt, als du ihn angerufen hast?« fragte er, als sie sich setzten.
»Er schien erleichtert. Er wartet auf deinen Anruf. Aber ich konnte Eugenia im Hintergrund hören. Sie ist entschlossen, Kit zu bestrafen.« Gemma schüttelte den Kopf. »Ist mir schleierhaft, wie bei dieser Familie aus Vic ein vernünftiger Mensch werden konnte.«
Kincaid dachte nach. »So schlimm ist es mit Eugenia wohl erst in den letzten Jahren geworden. Auf anderen herumzuhacken ist vielleicht ihre Art, die Trauer um ihre Tochter zu bewältigen - oder nicht zu bewältigen.«
»Zu liebenswürdig von dir«, murmelte Gemma.
Er zuckte die Schultern. »Also gut. Die Frau ist eine Hexe. Wichtig ist, daß sie in ihrem gegenwärtigen Zustand als Vormund für Kit nicht geeignet ist und das wahrscheinlich auch nie sein wird.«
»Hazel hat gesagt, daß Kit so lange wie nötig im
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