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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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ihrer Vorgeschichte wäre es die logische Konsequenz gewesen. Aber überleg mal, wie leicht es darum für andere gewesen wäre.« Vic hielt inne, holte Luft und fügte bedächtiger hinzu: »Was ich sagen will ... Ich glaube an die Möglichkeit, das Lydia ermordet worden ist.«
      In der nachfolgenden Stille zählte Kincaid stumm bis zehn. Sei vorsichtig, mahnte er sich. Sag ihr jetzt nicht, daß sie die nötige Distanz verloren hat. Sag ihr nicht, wie weit Menschen gehen, den Selbstmord ihrer Lieben zu leugnen - und er hatte keinen Zweifel, daß Vic sich Lydia Brooke enger verbunden fühlte als so manch anderer einem Familienmitglied - und sag ihr um Himmels willen nicht, sie sei hysterisch. »Also gut«, begann er laut. »Drei Fragen: Warum, wie und wer?«
      »Ich weiß es nicht«, antwortete Vic beinahe heftig. »Ich habe mit allen geredet, die ich ausfindig machen konnte. Es gab offenbar niemanden, der Streit mit ihr hatte. Trotzdem ist was faul.«
      Kincaid trank seinen Tee aus, während er sich eine Antwort zurechtlegte. Vor zehn, zwölf Jahren war er ein Faktenfetischist gewesen und hätte vermutlich über ihren Verdacht gelacht. Inzwischen hatte er gelernt, den Faktor Intuition nicht zu unterschätzen, auch wenn sie abwegig erschien. »Also gut«, seufzte er. »Nehmen wir an, du hast recht und an Lydias Tod ist was faul. Was erwartest du in dieser Angelegenheit von mir?«
      Vic lächelte, und er stellte zu seiner Verblüffung fest, daß sie Tränen in den Augen hatte. »Sag mir einfach, daß ich nicht verrückt bin. Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr es mich erleichtert, überhaupt darüber sprechen zu können.« Sie verstummte. Ihre Finger berührten ihre Kehle. »Und ich habe mir gedacht, daß du vielleicht ein paar Dinge in Erfahrung bringen könntest ...«
      Kincaid versuchte seinen Ärger zu unterdrücken. »Vic, der Fall ist fünf Jahre alt! Und er gehört nicht in meinen Zuständigkeitsbereich. Warum sprichst du nicht mit einem Beamten von der örtlichen Polizeidienststelle?«
      Sie schüttelte den Kopf. »Machst du Witze? Du weißt genau, daß sie mich mit einem freundlichen Schulterklopfen wegschicken und die Akte verrotten lassen würden. Sie sind viel zu sehr mit Drogen und organisiertem Verbrechen beschäftigt, um ihre Zeit mit mir zu verschwenden. Du hast andere Möglichkeiten, kannst mit jemandem reden. Oder mir wenigstens Türen öffnen.«
      Kincaid dachte an die Aktenstapel auf seinem Schreibtisch, an den täglichen Kampf um ein bißchen Zeit mit Gemma, an seine Glaubwürdigkeit ... Es war idiotisch, sich auch das noch aufzuhalsen. Dann sah er aus den Augenwinkeln das Foto im Silberrahmen, auf dem Beistelltisch - Vic, ihr Sohn und Ian McClellan, wie sie in die Kamera lächelten - und er wußte, daß er es ihr nicht abschlagen konnte.
      »Verdammt«, murmelte er gepreßt. Er kannte jemanden bei der Polizei von Cambridgeshire, einen ehemaligen Kollegen, der sich dorthin hatte versetzen lassen - in der Hoffnung auf ein streßfreieres Leben. Wie weit konnte er diese Freundschaft strapazieren? »In Ordnung, Vic. Ich versuche, an die Akte heranzukommen. Aber erwarte bitte keine Wunder! Wahrscheinlich ist die Akte ein einziger Persilschein für die Polizei.«
      Sie lächelte flüchtig. »Danke.«
      Ein Donnerschlag ließ sie beide zusammenzucken. Als er aufsah, prasselte Regen gegen die Fensterscheiben. Er warf einen Blick auf die Uhr und merkte, wie spät es geworden war. War Gemma inzwischen von ihren Eltern zurück und wartete auf ihn? »Tut mir leid, Vic.« Er stand auf und stellte seine Tasse auf den Tisch. »Ich muß los ... Mist!« entfuhr es ihm. »Ich habe das Wagenverdeck offengelassen!«
      »Du wirst naß bis auf die Haut!« Vic sprang ebenfalls auf. »Ich hole Schirm und Handtuch.«
      Bevor er sie davon abhalten konnte, war sie vor ihm aus der Tür gerannt und wartete bereits mit Schirm und Handtuch im Flur, als er nachkam. Er packte beides, sprintete über den Kiesbelag der Auffahrt und versuchte dabei, den Schirm zu öffnen. Als er den Wagen erreichte, sprang der Schirm auf, und er klemmte sich den Finger ein. Er hielt den Schirm in der einen Hand und kämpfte mit der anderen mit dem Verdeck. Als die Verschlußscharniere schließlich einrasteten, war das Handtuch, das er auf die Kühlerhaube geworfen hatte, klatschnaß. Er lachte und trug es zerknirscht zu Vic zurück, nachdem er erfolglos versucht hatte, es mit einer Hand auszuwringen.

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