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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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sei Sheba weit vorausgelaufen.
      »Sheba!« rief er und hörte selbst das ängstliche Vibrieren seiner Stimme.
      Diesmal war das Jaulen noch deutlicher zu hören. Es kam irgendwo von vorn und nach rechts versetzt neben dem Weg. George rannte in diese Richtung, sein Herz klopfte, als er die sanfte Kurve im Dauerlauf umrundete.
      Die Frau lag auf dem Rücken im hohen Gras gleich neben dem Trampelpfad. Sie hatte die Augen geschlossen, und die Strähnen ihres üppigen langen, rotblonden Haars waren mit den Ranken einer weißblühenden Winde verwoben. Sheba, die neben ihr kauerte, sah erwartungsvoll zu George auf.
      Sie war wunderschön. Im ersten Augenblick dachte er, sie schliefe, sagte sogar zögernd: »Miß ...«
      Dann ließ sich eine Fliege auf der weißen Hand nieder, die bewegungslos auf dem Revers ihres Jacketts ruhte, und da wußte er Bescheid.
     
     

* 2
     
    Drunten bei den Docks ist die Gegend, die ich mir als Auswanderer als den Ort wählen würde, um ein Schiff zu besteigen. Sie ließe meine Entscheidung in vernünftigem Licht erscheinen; würde mir viele der Dinge aufzeigen, die ich hinter mir lassen wollte.
     
    Charles Dickens (1861)
     
    Um fünf vor zehn an einem bereits heißen Samstag morgen suchte Gemma nach einer Adresse am Lonsdale Square. Nur wenige Gehminuten von ihrer Wohnung in Islington entfernt war der Platz von den Autos der Anwohner gesäumt, die das Wochenende zu Hause verbrachten. Und es war kein Zentimeter freigeblieben. Es war eine schicke Wohngegend, Einzugsgebiet aufstrebender Blair-Anhänger, und Gemma fragte sich, wie sich eine alleinstehende Frau eine derart exklusive Adresse leisten konnte. Die Reihenhäuser im Stil der Zeit von George III. wirkten streng, ihre grauen Backsteinfassaden nur durch das Schwarzweiß von Fenstern und Türen durchbrochen. Nur eine glänzend rot gestrichene Tür bildete die Ausnahme.
      Gemma vergewisserte sich mit einem Blick auf ihren Notizblock erneut, daß sie bei der richtigen Adresse war, stieg die Stufen zum Eingang hinauf und klingelte. Sie steckte eine Haarsträhne zurück, die sich aus ihrem Zopf im Nacken gelöst hatte, und sah an ihrer saloppen Samstagskleidung hinab ... Jeans, Sandalen und ein limonenfarbenes Leinenhemd. Was war für den bevorstehenden Anlaß das richtige Outfit? Vielleicht hätte sie sich ...
      Bevor sie sich noch entschließen konnte, doch lieber den Rückzug anzutreten, schwang die Tür auf. »Sie müssen Gemma sein«, sagte die Frau im kirschroten Trägerkleid und lächelte. Bis auf ihre grellrot geschminkten, vollen Lippen war sie kaum zurechtgemacht. Ihr kurzes, dunkles Haar war modisch zerzaust, als sei es mit einer Nagelschere geschnitten worden, und ihre Augen im blassen Gesicht waren bernsteinfarben; »Ich bin Wendy.«
      »Ihre Tür gefällt mir«, sagte Gemma.
      »Bricht das Eis, finde ich. Kommen Sie rein.« Das Zimmer, in das sie Gemma führte, war der Straße zugewandt. Es nahm offenbar das gesamte Parterre ein, war lang und schmal, einfach geschnitten und verhältnismäßig hoch. Ein schlichter Kamin im georgianischen Stil teilte den Raum in zwei symmetrische Hälften.
      Alles andere stellte Gemmas Erwartungen völlig auf den Kopf. Die Wände waren kreidegelb, die Möbel im Stil der Sechziger, die Bezüge in Primärfarben. Uber dem Kaminsims hing ein großes Plakat, das die Beatles auf der Abbey Road zeigte.
      An der einen Längswand zwischen Kamin und dem rückwärtigen Teil des Raumes stand ein Klavier. Während Gemma sich noch umsah, berührte ihre Gastgeberin sie leicht am Arm und deutete auf das Sofa.
      »Setzen Sie sich doch. Ich habe uns Kaffee gekocht. Heute morgen sollten wir uns erst mal kennenlernen.«
      »Aber ich dachte ...« Gemmas Nervosität regte sich wieder. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, diese Verabredung zu treffen, einen freien Samstagmorgen zu opfern, den sie mit Toby hätte verbringen können? Es war eine Schnapsidee gewesen, eine Marotte, die sie lieber hätte vergessen sollen, anstatt eine komplette Idiotin aus sich zu machen. Zum Glück hatte sie niemandem außer ihrer Freundin Hazel von ihrem Vorhaben erzählt.
      Wendy Sheinart setzte sich neben Gemma und griff nach der Kaffeekanne. »Also ...« Sie füllte Gemmas Tasse. »Jetzt erzählen Sie mir bitte, weshalb Sie Klavierspielen lernen möchten.«
     
    Kincaid hatte fürs Picknick die Dinge eingepackt, die er für jungengerecht hielt: dicke Schinkenbrote, Kartoffelchips, Coca-Cola

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