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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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und immerwährenden Sonnenschein in Räume zauberte.
      Nichts heiterte bei Niedergeschlagenheit so wirksam auf wie ein bißchen frische Farbe, sagte sie oft zu ihren Kunden, fand jedoch selten die Zeit, dem eigenen Rat zu folgen. Und selbstverständlich erledigten ihre Kunden Malerarbeiten nie selbst; dabei war die körperliche Betätigung ihrer Ansicht nach der effizienteste Teil der Therapie. Vielleicht konnte sie den Aufdruck auf ihrer Visitenkarte in »Inneneinrichtung und Stimmungsberatung« ändern und den Stundensatz erhöhen.
      Das flüchtige Lächeln, das der Gedanke hervorrief, verschwand schnell, als ihr der vorausgegangene Abend einfiel. Ihre fröhlichen gelben Wände mit dem beruhigenden Grün der Fensterlackierung hatten wenig dazu beigetragen, die eruptiven Gefühlsausbrüche zu verhindern, die sie unbedingt hatte vermeiden wollen. Sie hatte eine kleine, kultivierte Dinnerparty geplant gehabt... als Mittel zum Zweck, um mit Annabelle Frieden zu schließen, ohne ihr explizit verzeihen zu müssen. Schließlich war sie trotz allem, was zwischen ihnen geschehen war, ihre Schwester, und sie hatte den Kontakt mit ihr vermißt.
      Jo war früher eine gute Gastgeberin gewesen. Jetzt war es ihr erster Versuch einer Einladung ohne Martin gewesen, und es war ihr nicht leichtgefallen, die richtige Mischung der Gäste zusammenzustellen. Eine der unangenehmsten Folgen einer Scheidung, so hatte sie erfahren, war die Aufteilung der Freunde in »sein« und »ihr« Lager. Martins Freunde waren selbstverständlich tabu. Trotzdem hatte sie es nicht gewagt, ihre eigenen Parteigänger mit Annabelle zusammenzubringen, da sie die Schwester als die böse Hexe aus dem Märchen betrachteten. Folgerichtig hatte sie Gäste eingeladen, von denen sie sicher annehmen konnte, daß sie einen erfreulichen, neutralen Abend garantierten: ein Ehepaar, das seit kurzem zu ihren Kunden zählte; Rachel Pargeter, eine Nachbarin, die eine enge Freundin ihrer Mutter gewesen war; Annabelle und Reg. Und beinahe hätte es auch funktioniert... wenn ihr Sohn Harry seiner Tante nicht die Meinung gesagt hätte.
      Vorsichtig stellte Jo den letzten Strauß Frühsommerblumen in die Vase auf dem Eßtisch. Die Küchentür schlug zu, und Sarahs hohe Piepsstimme drang deutlich von der Rückseite des Hauses herüber. »Mami! Mami!«
      »Ich bin hier, Schätzchen!« Jo nahm ihre Schere und das Blumenpapier und lief in die Küche. Ihre Tochter stand direkt hinter der Tür, das dunkle Haar zerzaust, die Wangen von der Hitze gerötet. Sie hatte etwas, das verdächtig nach Cola aussah, über der Vorderfront ihres T-Shirts verkleckert, und das Taillenband ihrer geblümten Shorts war unter ihren Nabel geruscht. Mit vier Jahren war Sarah eine sprachlich versierte, geschickte kleine Petze.
      »Harry ist im Schuppen, Mami. Du hast gesagt, er darf da nicht rein. Und ich weiß, daß er was kaputt gemacht hat. Ich hab gehört, wie’s gekracht hat.«
      Jo fühlte, wie Ärger in ihr hochstieg. Sie unterdrückte ihn. Sarah brauchte in ihrer selbstgerechten Empörung keine Ermutigung. »Ich rede mit Harry ... du wäschst dir inzwischen am Spülbecken die Hände. Außerdem bist du wieder an der Cola gewesen, was, Fräulein?«
      Sarah sah an ihrem T-Shirt hinunter, und Jo erkannte, welch berechnender Ausdruck über ihr herzförmiges Gesicht huschte, bevor sie ernst entgegnete: »War ich nicht, Mami, Ehrenwort. Harry hat sie geholt und sie auf meinem Hemd verkleckert.« Sie zog den fleckigen Stoff von ihrer Brust weg, als wolle sie nichts damit zu tun haben.
      »Großer Gott!« Jo schloß die Augen und sprach ein stummes Gebet. Ihre süße kleine Tochter würde entweder Schauspielerin oder kriminell werden, und sie fühlte sich außerstande, sich mit der einen oder anderen Alternative im Augenblick auseinanderzusetzen. Sie holte tief Luft. »Gut. Wenn deine Hände sauber sind, räumst du die Spielsachen im Wohnzimmer auf. Außerdem möchte ich jetzt keine Geschichten mehr hören. Ist das klar?«
      Sarah setzte ihre beleidigste Miene auf. »Aber, Mami ...«
      Jo jedoch stieß bereits die Tür in den Garten auf. Sie begann zu lernen, daß die einzige Methode, mit ihrer Tochter fertig zu werden, die war, sich einem Dialog zu entziehen. Wenn sie sich weiter darauf einließ, zog sie regelmäßig den kürzeren und streckte die Waffen. Bei Harry war das anders gewesen. Der geringste Tadel hatte genügt, um dem Jungen die Tränen in die Augen zu treiben.

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