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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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einbog, drehte er sich so weit wie möglich auf seinem Sitz herum, um einen letzten Blick auf das Leben zu werfen, das er hinter sich ließ.
      Zuerst, als der Bus holpernd und schwankend die Commercial Road hinunter und über die Tower Bridge fuhr, nahm er an, daß der Bahnhof Waterloo ihr erstes Ziel sei. Zu Hause besaß er einen abgegriffenen und eifersüchtig gehüteten Stadtplan von London, und wenn er die Augen schloß, konnte er die Lage der großen Bahnhöfe so gut erkennen, als hielte er die Karte vor sich: Paddington, King’s Cross, Euston, Marylebone, Victoria, St. Pancras, Waterloo. Die Züge verließen jeden Bahnhof in eine andere Richtung. Wenn er also wußte, wo sie abfahren sollten, konnte er das ungefähre Endziel der Reise erraten.
      Doch während sie in südlicher Richtung und nach Lambeth weiterfuhren, war ihm klar, daß sie Waterloo hinter sich gelassen hatten. Kurz darauf überquerten sie an der Lambeth Bridge erneut die Themse. Victoria. Sie fuhren zur Victoria Station. Und von dort... ging es nur in Richtung Süden ...
      Es machte ihn schwindelig, zu der hohen gewölbten Decke hinaufzusehen, während er durch die Halle geschleust wurde, um sich den Schlangen merkwürdig stiller Kinder anzuschließen, die sich längs der Bahnsteige drängten. Dampf zischte und wirbelte um die Züge; die einzigen Geräusche waren die Schreie der Gepäckträger und Schaffner und das Echo der Pfiffe in den gewölbeartigen Hallen.
      Trotz aller Bemühungen der Lehrer um Ordnung, fand das Einsteigen in den Zug erneut nur unter Stoßen und Drängen statt, während die Kinder um Sitze am Fenster und bei Freunden kämpften. Lewis’ Waggon war mit mehreren Klassen vollgestopft. Trotzdem gelang es ihm, sich einen Fensterplatz zu sichern. Und da er Mitleid mit dem kleinen Simon Goss hatte, quetschte er diesen neben sich. Es gab noch eine Verzögerung, dann ertönte ein Aufschrei der Kinder, als der Schaffner die grüne Flagge schwenkte und sich der Zug in Bewegung setzte.
      Als sie in den Sonnenschein hinausratterten, wurden belegte Brote aus Papiertüten gezogen und Schokoladenriegel ausgepackt. Die ängstliche Stille, die über der Kindermenge gelegen hatte, machte fröhlichem Feriengeplapper Platz. Lewis aß abwesend sein Brot mit Bratenfett, das ihm seine Mutter mitgegeben hatte, das Gesicht gegen das Fenster gepreßt. Die Vororte schienen sich ewig hinzuziehen ... Clapham ... Wandsworth ... Balham ... Grüne Flecken begannen zwischen den Häuseransammlungen aufzutauchen. Dann breiteten sich diese Flecken so weit aus, bis die Ansammlungen der Häuser, die sich wie dunkle Flecken gegen das Grün der sanften Hügellandschaft abhoben, in der Minderzahl waren.
      Die Kinder wurden erneut still, nahmen die Fremdheit der Landschaft in sich auf, während die Temperaturen stiegen. Als der Zug unter lautem Getöse anhielt, ging ein erregtes Stöhnen durch den Waggon, und Übelkeit erfaßte Lewis. Sie warteten flüsternd, doch bald setzte sich der Zug erneut in Bewegung.
      Während die Hitze weiter zunahm und die Kinder immer ängstlicher wurden, kamen unvermeidlich die besonderen Köstlichkeiten wiederhoch, die viele gegessen hatten. Und zu allem Übel stellte man bald fest, daß der Zug keine Toilette hatte. Lewis versuchte, sich gegen den Gestank die Nase zuzuhalten, aber das machte seinen Durst noch schlimmer. Simon Goss war an Lewis’ Schulter eingeschlafen. Die jüngeren Kinder, die nicht schliefen, jammerten nach der Mutter - eine ständige Geräuschkulisse der Verzweiflung.
      Dann verlangsamte der Zug erneut die Fahrt. Lewis schlug die Augen auf, die er gegen die Sonne geschlossen hatte. Seine Liderfühlten sich klebrig an. Er fuhr sich mit der Zunge über die aufgesprungenen Lippen und starrte blinzelnd auf das Stationsschild, als der Zug quietschend und rumpelnd zum Stehen kam. Dorking. Wo immer das auch sein mochte. Er machte die Augen wieder zu, lehnte den Kopf gegen das Fenster, und fragte sich, ob er geschlafen und geträumt hatte, daß sie dazu verdammt waren, für immer in diesem Zug zu bleiben.
      Motorengeräusch weckte ihn erneut. Er sah blinzelnd hinaus. Ein grüner Bus hielt vor dem Bahnhof. Ihm folgten ein zweiter und dann noch einer. Männer schrien Kommandos, und die Busse wurden rangiert, bis sie neben dem Bahnsteig standen. Lewis’ Herz klopfte bis zum Hals, als die Kinder aufwachten und Bewegung in den Waggon kam.
      Das Umsteigen in die Busse verlief problemlos, da die

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