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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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An...« Er sah sie und verstummte.
      Seine Überraschung, überlegte Gemma, muß noch größer sein als meine, denn jetzt wurde ihr klar, daß sie bereits unbewußt diesen Mann mit Reg Mortimers Beschreibung in Verbindung gebracht hatte.
      Einige Monate lang hatte er vor dem Sainsbury-Kaufhaus an der Liverpool Road Klarinette gespielt, bis er zu einem ständigen, wenn auch rätselhaften Teil ihres Lebens geworden war. Obwohl er selten etwas gesagt oder gelächelt hatte, hatte sie sich auf unerklärliche Weise zu ihm hingezogen gefühlt. Als sie es schließlich gewagt hatte, ihn anzusprechen, war seine Antwort so brüsk ausgefallen, daß sie sich wie eine Idiotin vorgekommen war. Und kurze Zeit später war er aus der Gegend verschwunden. Seither hatte sie ihn nicht mehr gesehen.
      Janice Coppin setzte sich, schaltete das Tonbandgerät ein, sprach das Datum aufs Band und wandte sich an den Straßenmusikanten: »Ihr Name bitte. Ist fürs Protokoll.«
      Ohne den Blick von Gemma zu wenden, sagte er: »Finch. Gordon Finch.«
     
     

* 6
     
    An drei Seiten von der Themse umgeben und (damals) teilweise verkehrsmäßig durch die Klappbrücken an den Eingängen der sich in Betrieb befindlichen Docks von der Außenwelt abgeschnitten, herrschte (und herrscht noch immer) auf der Insel eine besondere Atmosphäre der Isoliertheit, die das Gebiet deutlich vom Rest East Londons unterscheidet.
     
      Eve Hostettler, aus:Docklands, ein illustrierter historischer Überblick
     
    »Setzen Sie sich, Mr. Finch.« Janice Coppin rückte ihren Stuhl in die Mitte des Vernehmungstisches. Nach kurzem Zögern sank Gordon Finch widerwillig auf den Stuhl ihr gegenüber. Kincaid und Gemma setzten sich leicht zurückversetzt rechts und links neben Janice, so daß letztere automatisch in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte.
      Gemma war froh, daß Kincaid Janice die Vernehmung überlassen hatte. Das gab ihr die Gelegenheit, den Straßenmusiker zu beobachten, der es tunlichst vermied, sie anzusehen. Es war einige Zeit her, seit sie ihm zum letzten Mal begegnet war, und sie hatte das Gefühl, daß er noch schlanker geworden war. Jedenfalls wirkten seine Züge noch prägnanter und hagerer. Sein dichtes Haar stand in wirren Büscheln dort vom Kopf, wo er es mit den Fingern zerwühlt hatte, und Bartstoppeln warfen einen dunkleren Schatten auf sein Kinn.
      »Ich will meine Ruhe«, erklärte er. »Sie haben kein Recht, mich hier ohne Anwalt festzuhalten.« Wie viele Straßenmusiker, fragte sich Gemma, hatten wohl einen Anwalt, der auf Abruf bereitstand?
      »Es steht Ihnen frei, Ihren Anwalt anzurufen, Mr. Finch«, entgegnete Janice. »Niemand erhebt Anklage gegen Sie, wir brauchen lediglich Ihre Hilfe. Beantworten Sie uns einfach ein paar Fragen.«
      »Was für Fragen?« erkundigte sich Finch mißtrauisch.
      Janice legte sorgfältig ihr Notizbuch auf den Tisch. »Sie wissen natürlich, daß auf der Straße und freien Plätzen zu musizieren ein Verstoß gegen ...«
      »Mein Gott, lassen sie den Quatsch, Inspector. Es ist Sonntag nachmittag ... die beste Zeit der Woche, und wahrscheinlich bin ich durch Ihre Schuld jetzt meinen Standplatz für heute los. Falls Sie mir eine Geldstrafe wegen unerlaubten Musizierens auf der Straße aufbrummen wollen, dann tun Sie’s. Wenn nicht, dann lassen Sie mich wieder zu meiner Arbeit zurückkehren, bevor die Ausflügler ihre Kinderwägen und Picknickkörbe zusammenpacken und nach Hause gehen.« Er schob den Stuhl provokativ zurück, blieb jedoch sitzen.
      Kincaid umfaßte sein Knie mit den Händen und lächelte, was bedeutete, daß er nicht die Absicht hatte, das Gespräch zu beenden. »Sind Sie ein guter Beobachter, Mr. Finch? Scheint mir, daß Ihre besondere Tätigkeit Ihnen die einzigartige Gelegenheit verschafft, die Kapricen der menschlichen Natur sowie das alltägliche Geschehen auf Straßen und in Parks zu beobachten.«
      »Kapricen?« Gordon Finch starrte ihn an, und Gemma verzeichnete heimlich einen Pluspunkt für Kincaid. »Was, verdammt noch mal, soll das heißen?«
      Kincaid grinste. »Kann mir offengestanden nicht vorstellen, daß Sie verbal überfordert sein sollten, Mr. Finch, aber ich will Ihnen gern ganz genau sagen, was ich meine: Sie sind der ideale Zeuge. Sie können beobachten, ohne daß die Leute Sie wirklich wahrnehmen. Wie viele Menschen, die an Ihnen vorbeikommen, meinen Sie, können später noch sagen, wie Sie angezogen waren? Oder welches Stück Sie

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