Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
fragte er.
»Die Hochzeit?« Erneut traf die Kriminalbeamten Teresas erstaunter Blick, so als sei ihr die Frage völlig neu. »Das Datum stand noch nicht fest. Nicht offiziell, jedenfalls.«
»Wie lange waren die beiden verlobt?«
Teresa runzelte die Stirn. »Fast zwei Jahre, glaube ich.«
»Kaum ein Grund heutzutage, eine Hochzeit lange rauszuschieben ... beide waren unabhängig, ihre Familien einverstanden ...«
»Aber die beiden konnten nicht einfach ganz normal heiraten. Sie hatten gesellschaftliche Verpflichtungen. Und ich glaube, Annabelle hatte im Augenblick keine Zeit, eine Hochzeit zu organisieren, wie man sie von ihnen erwartete.« Teresa breitete diese Theorie mit großem Ernst vor ihnen aus; beinahe so, als wolle sie auch sich selbst überzeugen.
»Waren Sie und Annabelle eng befreundet?« erkundigte sich Gemma. »Hätte sie sich Ihnen anvertraut ... wenn sie kalte Füße bekommen hätte?«
»Ich ... ich weiß nicht.« Teresa reckte trotzig das Kinn. »Hören Sie ... ich begreife nicht, weshalb Sie mich das alles fragen. Jo hat gesagt, Annabelle sei im Park getötet, von irgendeinem Perversen überfallen worden. Was sollte das mit uns oder der Firma Hammond’s zu tun haben?«
»Annabelle ist im Park gefunden worden. Ob sie dort auch getötet wurde, wissen wir nicht«, klärte Kincaid sie auf. »Können Sie uns sagen, weshalb sie in der Dunkelheit im Mudchute Park herumspaziert sein könnte? In Partykleidung und Schuhen mit hohen Absätzen?«
»Nein. Das ist idiotisch. Aber ...« Die Schatten der sich langsam drehenden Ventilatorblätter an der Decke glitten über Teresas Gesicht, und Kincaid sah, wie sich die Iris ihrer haselnußbraunen Augen ausbreitete wie ausfließende Tinte. »Sie glauben doch nicht, daß hier ...« Sie verschränkte die Arme vor der Brust und ließ ihre Blicke schweifen, als sähe sie den alten Speicher zum ersten Mal.
»Hat Annabelle Ihnen erzählt, was sie am Freitag abend vorhatte?« fragte Kincaid.
»Sie wollten zu ihrer Schwester. Sie und Reg. Das Abendessen war seit Wochen geplant.«
»Und Annabelle hat Sie später am Abend nicht mehr versucht zu erreichen?«
»Weshalb hätte sie mich anrufen sollen?« Teresa wirkte verdutzt.
»Könnte doch sein, daß sie sich aus irgendeinem Grund Sorgen gemacht hat.«
»Annabelle war nicht der Typ, der sich Sorgen gemacht hat«, antwortete Teresa scharf. »Und sie hatte nicht die Angewohnheit, mich abends noch anzurufen oder hierherzukommen.«
»Könnte Freitag abend irgend jemand hier gewesen sein? Gibt es einen Nachtdienst in der Firma?«
»Wir stellen den Tee nicht her, Superintendent. Wir mischen und packen ihn, und für unser Produktions- und Ladepersonal gilt die Fünftagewoche. Die Packerei ist oben, falls Sie sich dafür interessieren. Aber das hier ist das Herz unserer Firma.« Sie deutete auf einen großen Tisch in der Mitte des Raumes, und Kincaid spürte ihre Erleichterung, als sie sich wieder auf vertrautes Terrain begeben konnte.
An einer Längsseite des Tischs waren abgenutzte Teebüchsen und schlichte Zellophantüten aufgereiht; auf der anderen Seite stand eine Reihe viereckiger, weißer Porzellanschälchen, gefüllt mit losen Teeblättern, und eine andere Reihe identischer Teegefäße aus Porzellan. Gemma berührte mit dem Finger die Teesorte im letzten Gefäß. »Riecht gut. Was ist das hier?«
»Der Verkostungstisch.« Teresa sah sie an, und Kincaid erkannte, wie verständnislos sie dreinschauen mußten, denn sie fuhr fort: »Wir verkaufen nicht einfach irgendwelchen Tee. Zuerst muß er gemischt werden, und die Firma Hammond’s ist seit hundertfünfzig Jahren berühmt für ihre Mischungen. Wir kaufen Tee auf Auktionen ... hauptsächlich aus Indien und Sri Lanka. Aber seit den späten Siebzigern hat sich China wieder dem Markt geöffnet, und einen Teil des Tees importieren wir auch aus Afrika und sogar aus Südamerika.«
»Sri Lanka ... ist das das ehemalige Ceylon?« Gemma ging um den Tisch und betrachtete die Blechbüchsen. »Auf einigen hier steht Ceylon.«
»Tees aus Sri Lanka tragen die Handelsbezeichnung Ceylon-Tee. Aber allein in Sri Lanka gibt es über zweitausend Teeplantagen ... und jede Plantage hat verschiedene Ernten pro Jahr ... je nach Höhenlage.« Teresa seufzte, um anzudeuten, wie kompliziert das alles war.
Kincaid dachte nur nebenbei an Indien oder China, wenn er morgens einen Teebeutel in seine
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