Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
tun haben wolle, sie sich nicht mit weniger zufriedengebe. Du bist so dickköpfig, daß du gar nicht registrierst, daß Mortimer Gordon Finchs Behauptung indirekt bestätigt.«
»Da wir gerade von dickköpfig reden. Wie würdest du deine Beweggründe dafür bezeichnen, daß du deine Sicherheit aufs Spiel gesetzt hast und gestern allein in Gordon Finchs Wohnung gegangen bist?« konterte er verletzt.
»Warum hackst du immer noch darauf rum? Du kannst mir ruhig ein bißchen Menschenkenntnis Zutrauen, ja? Ich hätte das nie gemacht, wenn ich mich nicht absolut sicher gefühlt hätte. Außerdem hat es immerhin einiges gebracht, oder?«
»Ja, aber ...«
»Ich lasse mir von niemandem sagen, wie ich meinen Job zu erledigen habe.«
Kincaid merkte, daß der Disput in einen handfesten Krach auszuarten drohte. »Gemma, es tut mir leid. Ich wollte nicht ...«
»Pssst!« flüsterte sie plötzlich und hob die Hand. »Hör doch!«
Er brauchte einen Moment, bis er begriff, daß sie die Stille meinte. Er richtete sich auf und sah sich um. Die Kinder hatten dicht beieinander gehockt und gekichert, als er sie das letzte Mal gesehen hatte. Jetzt waren sie spurlos verschwunden.
»Toby?« rief Gemma, stellte ihre Cidre-Flasche auf den Tisch und machte Anstalten aufzustehen.
Kincaid war bereits auf den Beinen. »Ich sehe mal nach, was die kleinen Racker anstellen.« Er ergriff erleichtert die Gelegenheit zu einer Atempause.
Den Kindern war es verboten, den Garten ohne Begleitung zu verlassen - vom Gartentor bis zu Gemmas Garagenwohnung waren es nur wenige Schritte. Aber die Straße war belebt, und die Gefahr für Kinder groß. Kincaids Herz begann bei dem Gedanken schneller zu schlagen, und er mußte sich zur Ruhe zwingen, als er den Rasen überquerte und in die dunkleren Schatten spähte. Sie verstecken sich nur, sagte er sich. Und als er sich der Gartenpforte näherte, bemerkte er aus den Augenwinkeln, daß sich hinter der Hecke aus falschem Jasmin etwas bewegte.
Leise pfeifend ging er daran vorbei, und wurde mit unterdrücktem Kichern belohnt. Er machte einen Schritt rückwärts und sah sich gespielt verwirrt um. Dann wirbelte er herum, griff durch eine Öffnung in der Hecke. »Hab dich!« Seine Hände umschlossen feuchte Haut, und die Kinder kreischten vor Vergnügen. Sanft zog er sie aus dem Gebüsch und klemmte sich Toby unter den einen und Holly unter den anderen Arm. Ihre Körper waren klebrig vom Fruchteis, das Hazel ihnen nach dem Kaffeetrinken spendiert hatte. »Also gut, ihr zwei. Ihr bleibt jetzt dort, wo ich euch sehen kann. Wenn nicht, geht’s gleich ins Bad und dann ins Bett.«
»Bitte, spielen wir noch einmal Verstecken, Duncan! Bitte, bitte!« jammerte Holly, während Toby sich unter seinem Griff wand und mit den Beinen strampelte.
»Du kriegst mich nicht! Du kriegst mich nicht!« rief der Junge.
Kincaid packte ihn fester. »Ich habe dich doch schon, du Wurm. Hört mal! Wenn ihr beide jetzt sehr, sehr brav seid, dann lese ich euch nach dem Baden eine Geschichte vor.«
»In meinem Zimmer oder in Tobys?« wollte Holly es wie immer ganz genau wissen.
Kincaid blieb stehen und tat so, als müsse er nachdenken. Die Kinder hingen schlaff in seinen Armen. »Wenn ihr versprecht, kleine Engel zu sein, dann lese ich in Tobys Zimmer vor. Und danach trage ich dich nach Hause, Holly. Na, was sagt ihr dazu?«
»Auf der Schulter?« Holly liebte es, auf seinen Schultern auf und ab zu hüpfen.
»Wenn du willst.« Kincaid setzte die beiden vor Gemma auf die Wiese, und sie rannten davon wie die Karnickel vor dem Hund.
Seine Arme fühlten sich plötzlich federleicht an, und die Silhouetten der Kinder blieben noch eine Weile wie ein Abdruck auf seiner Netzhaut zurück. Plötzlich fühlte er eine brennende Sehnsucht nach Kit, die ihn überraschte. Er setzte sich ungelenk auf seinen Stuhl. Die Knie waren ihm weich geworden.
»Die beiden hätten eine Abreibung verdient«, sagte Gemma ärgerlich.
»Gemma ...«
»Was ist?« Sie drehte sich zu ihm um, als habe etwas in seiner Stimme ihre Aufmerksamkeit erregt.
»Ich ...«, begann er, doch er konnte den Verlust, den er empfand, nicht in Worte fassen. Statt dessen fuhr er fort: »Schätze, die Sache mit Kit ist mir ziemlich an die Nieren gegangen. Wenn er am Telefon nicht mit mir reden will, fahre ich nach Cambridge.« Er merkte, daß er die Entscheidung in diesem Moment getroffen
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