Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
wußte, daß Mr. Pawleys Sohn Neville seit vergangener Woche in Frankreich vermißt wurde und daß Mr. Pawley wilde Drohungen gegen jeden Deutschen ausgestoßen hatte, den er je in die Finger kriegen sollte.
»Also gut«, seufzte Edwina. »Kommt, ihr beiden. Ihr seid alt genug, um euch nützlich zu machen.«
»Ich hol den Wagen ... danngeht’'s schneller«, sagte John und rannte zur Garage.
Mr. Cuddy band den Gürtel seines Morgenmantels zu. »Ich komme mit euch.«
Edwina wandte sich zu ihm um. »Nein, Sie bleiben lieber hier, Warren. Ich möchte, daß Sie Unterstützung organisieren, falls es nötig werden sollte. Die Jungen können als Meldeboten dienen.«
Dann fuhr John den Bentley vor, sie stiegen zu dritt ein und fuhren im nächsten Moment die Auffahrt hinunter. Der Himmel über dem Dorf glühte schwach rot und sein Schein erhellte den Weg. Lewis dachte plötzlich daran, wie lange ihm die Fahrt vom Dorf bis zum Herrenhaus an jenem ersten Abend nach seiner Ankunft erschienen war, als alles noch so ungewohnt gewesen war. Sein Magen krampfte sich bei dem Gedanken daran, was sie erwartete, ängstlich zusammen. Er wußte, daß Edwina gegenüber Mr. Cuddy sowohl realistisch als auch taktvoll gewesen war. Die Dorfbewohner hatten herausbekommen, daß Mr. Cuddy Deutsch sprach. Und in der angespannten Lage war davon die Rede gewesen, er könne ein Spion sein.
John fuhr so schnell es die Verdunklung erlaubte, und als sie um die letzte Kurve schleuderten, schossen Flammen aus einem Krater, der sich neben dem Dorfplatz aufgetan hatte. Aus den Flammen ragte eine verlogene, schwarze Silhouette: der Schwanz eines Flugzeugs ... nein, von zwei Flugzeugen, verkohlt und wie in einer obszönen Umarmung ineinander verkeilt.
Sie sprangen aus dem Wagen und rannten zu den Schaulustigen, und Lewis würgte, als beißender Gestank seine Atemwege versengte und sich der heiße Öldunst des brennenden Flugzeugbenzins mit der widerlichen Süße verbrannten Fleischs mischte.
»Was ist passiert?« hörte er Edwina fragen.
»Ein Wellington-Bomber«, antwortete ein Mann, und als er sich zu ihnen umdrehte, war sein Gesicht von Ruß und Schweiß verschmiert. »Muß mit einem deutschen Flieger kollidiert sein. War keiner mehr zu retten.«
»Die sind gegrillt«, sagte Terence Pawley neben ihm, und es klang beinahe schadenfroh. »Alle zusammen. Geschieht ihnen recht, den verdammten Hunnen.«
»Halt die Klappe, Terence!« Der Mann mit dem rußgeschwärzten Gesicht drehte sich wütend zu ihm um. »Da drinnen sind auch unsere fungs verbrannt.«
Lewis glaubte ein schwaches Geräusch zu hören, es klang wie der Widerhall eines Schreis, und der Gestank drohte ihn zu ersticken. Er schaffte es gerade noch bis zum Rand des Dorfplatzes, bevor er sein Abendessen erbrach. Dann merkte er, daß er weinte und daß William leichenblaß vor Entsetzen neben ihm stand.
»Sie müssen gewußt haben, daß sie sterben ... saßen ja wie Tiere in der Falle«, bemerkte William, aber Lewis richtete sich nur stumm auf und wischte sich mit zitternder Hand über den Mund.
Sie beobachteten das Feuer aus sicherer Entfernung, bis die Flammen erloschen und das Wrack im Morgengrauen allmählich Konturen annahm. Das deutsche Flugzeug war eine Junkers 88. Die Einzelteile beider Maschinen lagen über das ganze Dorf verstreut. »Ein Wunder«, murmelten alle, »daß keines der Häuser getroffen worden ist.« Als der Tag anbrach, wurde deutlich, daß die Katastrophe nicht nur materiellen Schaden angerichtet hatte ... die Posthalterinfiel in Ohnmacht, als sie ein einzelnes, abgetrenntes Bein in ihrem Garten fand, und weitere grausige Überreste menschlichen Lebens wurden noch Tage später entdeckt. Die kleineren Kindergingen mit Begeisterung auf Souvenirjagd, doch für Lewis und William war Krieg plötzlich kein Spiel mehr.
Während der heißen Tage im August wurden die Angriffe auf London immer zahlreicher. Und obwohl das Leben im großen und ganzen weiterging wie bisher, wachte Lewis oft aus schrecklichen Angstträumen von den brennenden Wracks auf.
Am Samstag, den 7. September, wenige Minuten vor vier Uhr nachmittags, fuhren die Jungen mit den Fahrrädern den Hombury Hill hinauf, als sie über sich das Dröhnen von Flugzeugen hörten. Beide hielten an und sahen in den Himmel - prüften beinahe automatisch, ob es Jagdflugzeuge oder Bomber waren - und entdeckten, daß es über ihnen vor deutschen Flugzeugen nur
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