Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
Terrassentür, und sie folgte ihm. »Gerald Durrell«, sagte er, fuhr mit dem Finger suchend über die Reihe der Buchrücken und hielt bei einem schmalen Band inne. »Hat er je Durrell gelesen? Seine Bücher sind großartig. Er erzählt von seiner Kindheit auf Korfu und beschreibt ausführlich sämtliche Tiere und Insekten, die er dort kennengelernt hat. Und was ist mit Laurens Van der Post? Er hat in mir den Wunsch geweckt, Afrika zu erleben, den Spuren der Buschmänner zu folgen. Oder Konrad Lorenz, der Großvater der Verhaltensforschung bei Tieren?« Hör auf, sagte er sich, während er Buch um Buch aus dem Regal zog. Du schwafelst wie ein pubertärer Jüngling bei seinem ersten Rendezvous. Und noch schlimmer, du bildest dir vermutlich ein, daß ihre Nähe Absicht ist.
Als Vic die Bücher nahm und es sich damit im Sessel am Kamin gemütlich machte, entschuldigte er sich. »Idiot«, sagte er laut zu sich, als er ins Dunkel des Korridors trat. Dann holte er tief Luft und ging weiter in sein Arbeitszimmer. Als er zurückkehrte, blätterte sie oberflächlich in einem Buch, doch ihr Blick war ins Feuer gerichtet, und er hatte den Verdacht, daß sie nicht die leiseste Ahnung hatte, was sie überhaupt in der Hand hielt.
»Das hier habe ich kürzlich gefunden«, sagte er und setzte sich ihr gegenüber. »Oben im Speicher stehen noch ein paar Umzugskartons aus dem Haus in Cambridge. Ich dachte, du möchtest es vielleicht haben.« Sie blinzelte und lächelte verwirrt, als sie das Buch entgegennahm, und dann verschlug es ihr den Atem, als sie sah, was es war.
Sie berührte den Einband. »Oh Nathan, das ist fantastisch!« Sie schlug es auf, hob die Schutzfolie vorsichtig hoch und sah lächelnd in Rupert Brookes Augen. »Und was für ein großartiges Foto. Das kenne ich überhaupt nicht.« Sie betrachtete erneut den Einband und sah dann auf die Rückseite der Titelseite. »Es ist eine Erstausgabe von Edward Marshs Rupert Brooke: Memoiren«, sagte sie unnötigerweise. »Herausgegeben 1919. Woher hast du das?«
»Es hat Lydia gehört.«
Sie sah auf. »Aber ... bist du sicher, daß du ... bist du sicher, daß du willst ...«
»Ich kann über Lydias Sachen frei verfügen, und ich finde es nur passend, daß du es haben sollst.«
»Es muß doch sehr wertvoll sein.«
»Das spielt keine Rolle.«
Vic legte das Buch in ihren Schoß und schloß ihre langen, schmalen Finger um den Einband. Er nahm das als Einverständnis. »Nathan, da ist etwas, das ich dich schon lange fragen wollte.« Sie trank einen Schluck aus ihrem fast leeren Glas. »In letzter Zeit habe ich manchmal das Gefühl, daß mein Biographieprojekt von Anfang an verhext war. Ich hätte nie gedacht, daß ich gegenüber den beiden Menschen, die mir am meisten helfen könnten, solche Skrupel habe zu fragen. Kannst du das verstehen?« Sie neigte nachdenklich den Kopf zur Seite. »Jedenfalls kannst du dir vorstellen, wie schwierig es ist, mit Darcy zu reden ...« Sie rollte die Augen, und Nathan lachte. »Er ist auch so schon unerträglich.«
»Soll das heißen, daß es für dich schwierig ist, mit mir zu reden?« fragte Nathan, der sich nicht ablenken ließ.
»Ich habe das Gefühl, daß es eine Zumutung für dich ist. Ich hatte Angst, es würde dich aufregen, über Lydia zu sprechen, und ich wollte nicht, daß es unsere ... Freundschaft ... trübt. Und die anderen ...« Mit einer Grimasse leerte sie den Rest Whisky. »Natürlich hat sich ihr Ex-Mann geweigert, überhaupt mit mir zu sprechen.« Die Erinnerung an die peinliche Begegnung mit Morgan Ashby trieb ihr die Röte ins Gesicht. Hastig fuhr sie fort: »Daphne Morris war außerordentlich höflich und völlig nichtssagend. Man hätte denken können, sie hat Lydia kaum gekannt. Und Adam Lamb ...« Vic starrte ins Kaminfeuer. »Adam Lamb wollte nicht mal am Telefon mit mir reden.«
»Vic, was willst du eigentlich von mir?«
Sie legte das Buch auf den Beistelltisch, stand abrupt auf und blieb vor dem Kamin mit dem Rücken zu ihm stehen. »Ich hasse es, um Gefallen zu bitten. Aber in letzter Zeit ist das alles, was ich tue - abgesehen davon, daß ich mich ständig entschuldige. Und jetzt komme ich mir geradezu unverfroren vor ... nachdem du so nett warst.«
»Vic ...« Er erhob sich aus seinem Sessel und stellte sich neben sie, so daß sie sich ihm zuwenden mußte. Sie hatte die Arme eng vor der Brust verschränkt.
»Würdest du ein gutes Wort für mich
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