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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Reineclauden«, wiederholte die Köchin augenzwinkernd. »Dann glauben deine Mutter und dein Vater, der Weihnachtsmann sei mit der Post gekommen.«
      In diesem Moment betrat John die Küche, den Arm voller Brennholz für den Herd, und während er und die Köchin über die Ereignisse des Tages redeten, konzentrierte Lewis sich wieder auf seinen Aufsatz. Im vergangenen Jahr hatte er zu seiner Überraschung entdeckt, daß Schule eigentlich etwas Tolles war. Mr. Cuddy konnte sogar Geschichte interessant darstellen, und er war entschlossen, den Kindern Krieg in »historischen Zusammenhängen« begreiflich zu machen. Sie hatten eine riesige Karte im Schulzimmer aufgehängt und verfolgten darauf die militärischen Bewegungen in Europa und dem Mittelmeerraum mit bunten Nadeln und Farbstiften. Damit erhielten die Namen der Orte aus den Nachrichten auch für Lewis eine Bedeutung, aber gelegentlich genügte ein Blick, um ihn daran zu erinnern, wie nahe ihr kleiner Teil von England dem besetzten Frankreich war, und dann überkam ihn Angst. Er versuchte, nicht daran zu denken, was geschehen könnte, wenn Hitler beschloß, seine Armee über den Kanal zu schicken. Zumindest vorerst schien er anderweitig beschäftigt zu sein, obwohl Lewis im Traum Hitlers Gehirn als großes, rotes Auge gesehen hatte, das begehrlich in diese und jene Richtung schwenkte. Das Bild verfolgte ihn seitdem.
      William stürmte durch die Tür zum Korridor und riß Lewis aus seinen Gedanken. »Ich bin fertig.« William quälte ihn mit einem Grinsen. »Wettrennen zu den Läden. Edwina will eine Zeitung vor Ladenschluß, und sie hat gesagt, ich darf mir Leim für mein Modell kaufen.«
      »Gut«, sagte Lewis und ließ seinen angekauten Bleistift auf das Blatt Papier fallen. Zusammen rannten sie aus der Tür und in den Hof hinaus.
      Eine blutrote Sonne ging vor einem durchscheinend blauen Himmel über den Schattenrissen der Bäume unter. Die Luft roch nach Frost, Holz und Rauch, und die letzten Blätter wirbelten über das Hofpflaster, als habe eine unsichtbare Hand sie aufgescheucht. Lewis blieb stehen. Plötzlich hatte ihn ein Gefühl erfaßt, das er nicht deuten konnte, ihn jedoch daran erinnerte, wie er sich gefühlt hatte, als er gesehen hatte, wie einer der großen Überseedampfer in die Docks zu Hause einlief.
      Dann war der Moment vorüber. William rief ihm zu, er solle sich beeilen, und er sprintete die Auffahrt hinunter.
      Eine Woche später überquerte Lewis den Hof, nachdem er seine Mittagspflichten im Stall erledigt hatte. Als er den Blick hob, sah er seine Mutter in der Küchentür stehen. Er blieb stehen, blinzelte, und glaubte einen Moment an eine Sehstörung. Aber es war tatsächlich seine Mutter in ihrem alten, flaschengrünen Mantel und dem pflaumenblauen Filzhut, den sie für sonntags aufbewahrte, und sie lächelte und streckte die Arme nach ihm aus.
      Dann erst rannte er los, schlitterte über die vom Nieselregen glitschigen Pflastersteine, erreichte sie und wurde heftig umarmt. Zu seiner Überraschung stellte er fest, daß er genauso groß wie die Mutter, wenn nicht größer als sie geworden war.
      »Lewis Finch, ich wette, du bist mindestens einen Fuß gewachsen.« Sie hielt ihn von sich weg, um ihn zu betrachten. Doch obwohl sie noch immer lächelte, kam ihm ihre Stimme merkwürdig vor. Sie klang seltsam brüchig. Aus der Nähe erkannte er, daß ihre blasse Haut den bläulichen Schimmer frischer Milch hatte, und ihre Augen leicht geschwollen waren.
      »Du hast doch geschrieben, daß du nicht zu Besuch kommst«, sagte er und verdrängte die aufsteigende Angst. »Hast du mein Geschenk gekriegt? Bist du deshalb hier? Und wo ist Dad?« Dann erregte ein Geräusch aus der Küche seine Aufmerksamkeit. Er sah an seiner Mutter vorbei in den Raum. Die Köchin saß am Tisch, das Gesicht hinter der Schürze verborgen. Und plötzlich wußte er, daß sie weinte. Ihre Schultern zuckten.
      Er sah seine Mutter an und trat zurück. »Was ist los? Was ist passiert?«
      »Machen wir einen Spaziergang ... dabei können wir reden.« Sie hakte ihn unter, vermied es jedoch, ihn anzusehen, und aus der Küche ertönte erneut das Schluchzen der Köchin. .
      Er führte sie blind durch das Gatter im Hinterhof über das schwärzliche Stoppelfeld zu der alten Steinmauer, die sich entlang des Tals zog. Unter ihnen reichten die Bäume hangab- und hangaufwärts, ihre Äste waren im Nebel grau und gespenstisch in dem See rostbrauner

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