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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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zurückzugeben. Ich sah keinen Grund, das zu verweigern.«
      Vic merkte erst nach Sekunden, daß sie ihn mit offenem Mund anstarrte, und preßte schnell die Lippen aufeinander. »Aber du konntest doch nicht ... Aber was ist mit ...«
      »Mit dem Interesse der Nachwelt?« ergänzte Nathan. »Ich dachte, die Wünsche der Lebenden hätten Vorrang.«
      Vic atmete hörbar aus. »Da hast du natürlich recht. Guten Gewissens hättest du nicht anders handeln können.« Sie schüttelte den Kopf. »Was ist nur mit mir los? Werde ich allmählich zum Sensationsgeier?«
      Nathan grinste. »Als nächstes bewirbst du dich vermutlich um einen Job bei der Sun!«
      »Der Himmel bewahre mich!« Sie mußte trotz allem lächeln. »Damals, als ich angefangen habe, war ich naiv wie ein Kind. Ich hatte doch glatt die Illusion, eine Biographie sei eine rein akademische, kritische Auseinandersetzung mit einer Person. Kannst du dir das vorstellen? Dabei ist es Fiktion, ein Romanstoff. Wie sonst sollte man aus all den Bruchstücken, die wir hinterlassen, eine vollkommene Persönlichkeit zusammensetzen? Und wo zieht man die moralisch vertretbare Grenze, was die Privatsphäre betrifft - und zwar bei den Lebenden wie den Toten?«
      »Keine Ahnung, meine Liebe«, sagte Nathan, der jede Leichtfertigkeit abgelegt hatte. »Aber ich vertraue deinem Urteil. Und das solltest du auch tun. Hab keine Angst! Verlaß dich auf deinen Instinkt. Sonst wirst du auch behäbig und selbstzufrieden. Was hat doch Rupert Brooke seinen Freunden geraten? Die Freiheit mit Freunden auf einer Insel zügellos genießen und sich umbringen, sobald man die Mitte des Lebens erreicht hat?«
      »Du bist weder behäbig noch selbstzufrieden.«
      »Vic ...«
      »Also gut«, unterbrach sie ihn und bemühte sich, ihre Gedanken weiterzuspinnen. »Was ist mit Daphne? Was habe ich übersehen? Adam hat ein paar Schlaglichter auf Lydia geworfen, wie sie wirklich gewesen sein muß. Aber Daphne? Ist sie je etwas anderes gewesen als eine zugeknöpfte Schuldirektorin im reiferen Alter?«
      »Daphne war alles andere als >zugeknöpft<«, entgegnete Nathan, und seine Augen blitzten amüsiert. »Sie war ein prachtvolles Weib. Waren sie übrigens beide, Lydia und Daphne, jede auf ihre Art. Daphne sah aus wie diese alterslosen weiblichen Fabelwesen - halb Göttin, halb Teufelin, mit vollem Busen und wallendem kupferrotem Haar.« Er hielt inne und fuhr dann stockend fort: »Während Lydia ... Sie war der androgynere Typ, fragil mit einem feenhaften Botticelli-Gesicht, aber nicht weniger attraktiv. Jedenfalls hatte sie die aggressive Sexualität, die Daphne abging.«
      Vic runzelte die Stirn. »Aber ich dachte ... Daphne und du ... seid ein Paar gewesen? Und Adam und Lydia. Ich meine ...«
      »Versuchst du jetzt taktvoll zu sein, Vic?« erkundigte sich Nathan mit einem hinterlistigen Grinsen. »Du überraschst mich.«
      Vic fühlte, wie sie rot wurde, und sagte trotzig: »Also gut. Du hast mit beiden geschlafen. Ist es das?«
      »Es waren die frühen sechziger Jahre, vergiß das nicht. Wir dachten, wir hätten den Sex erfunden.« Das klang spöttisch, doch seine Augen blieben ernst. »Wir hielten uns für wahnsinnig unkonventionell und liberal und haben uns dabei nur selbst beweihräuchert.«
      »Klingt nicht, als hättest du dich dabei besonders wohl gefühlt.«
      »Ich war ... wie alt? Neunzehn? Zwanzig? Ich glaube nicht, daß >wohl fühlen< das ist, worauf es Männer in diesem Alter abgesehen haben. Da geht’s um Elementareres.«
      Vic wollte es nicht recht gelingen, sich Nathan mit neunzehn vorzustellen. Dazu war er in der Gegenwart viel zu präsent. Sie empfand die Vorstellung, daß er sowohl Daphne als auch Lydia geliebt hatte, als überraschend erregend. Sie mußte unbedingt noch einmal mit Daphne sprechen. Das Bild, das sie sich von Lydias Studienjahren gemacht hatte, war korrekturbedürftig. Die braven Briefe an die Mutter waren wohl eher irreführend. »Nathan«, begann sie, glitt vom Sessel und kauerte, das Kinn auf seinem Knie, vor ihm nieder. »Erzähl mir, wie es damals wirklich gewesen ist.«
      Er strich ihr übers Haar. »Vielleicht mal, wenn du älter bist.«
      »Nein, im Ernst.« Sie sah zu ihm auf. »Ich muß es wissen.«
      »Das sollst du auch. Aber nicht heute abend. Es ist spät, und ich habe Angst, daß du dich plötzlich in einen Gartenkürbis verwandeln könntest.«
      »Erst, wenn du mir meine gläsernen Schuhe

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