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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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schnappte hastig nach dem Hörer und hoffte, daß Kit nicht aufgewacht war. Schon als sie abhob, wußte sie, wer es war.
      »Vic? Ich hoffe, es ist nicht zu spät, aber ich bin einen Tag früher von diesem Kongreß weggekommen.«
      »Unsinn, ich bin noch auf«, erwiderte sie, und beim Klang von Nathans Stimme ging ihr Atem schneller.
      »Habe ein absolut unerfreuliches Wochenende hinter mir, das kannst du mir glauben«, fuhr er fort, und sie ahnte, daß er dabei lächelte. Er war am Freitag lustlos zu einem Botaniker-Kongreß nach Manchester gefahren.
      Sie hatte nicht oft mit ihm telefoniert, und jetzt fiel ihr dabei wieder ein, wie sehr sie seine Stimme mochte, tief und sonor, mit einem versteckten Lachen. Sie hatte von jeher ein Faible für Stimmen gehabt. Auch bei Duncan war es so gewesen mit der für Cheshire typischen schleppenden Sprechweise, die die Jahre in London mittlerweile etwas abgeschliffen hatten.
      »Komm rüber, dann erzähl ich dir alles«, drängte Nathan.
      Vic zögerte. Sie hatte plötzlich einen Kloß im Hals. Sollte sie ihn gleich heute abend zur Rede stellen? Die Sache auf die lange Bank zu schieben hat sowieso keinen Sinn, überlegte sie und holte tief Luft.
      »Also gut. Aber ich kann nicht lange bleiben.«
      »Komm zur Vordertür. Der Garten ist ein Sumpfloch.« Und spöttisch fügte er hinzu: »Um diese Zeit sehen dich die Nachbarn sowieso nicht.« Dann klickte es am anderen Ende, und das Rufzeichen gellte in ihr Ohr.
      Er trug noch Jackett und Krawatte. Den obersten Hemdenknopf allerdings hatte er geöffnet und die Krawatte gelockert. Sie saß verwegen schief. »Ich hab den Kamin angemacht«, erklärte er und schob sie in die Diele. »Ich hole dir erst mal was zu trinken.«
      Sie schüttelte den Kopf. »Nein, danke. Noch nicht.« Die Tür zum Musikzimmer stand auf, und die Lampe auf dem Flügel brannte. »Du hast gespielt«, murmelte sie, schlenderte zum Klavier und berührte das Blatt auf dem Notenhalter. Die Noten waren in Nathans energischer Handschrift geschrieben.
      »Ich habe nur ein bißchen herumgeklimpert, während ich auf dich gewartet habe.« Er stand im Türrahmen und wirkte verwirrt.
      Vic setzte sich auf den Klavierschemel und starrte auf die Tasten. Nach einer Weile begann sie mit einer zögerlichen, kindlichen Version von >Alle meine Entchen<. Mehr war ihr von den durch die Mutter erzwungenen Klavierstunden nicht geblieben.
      Ballettunterricht war als nächstes gekommen. Sie hätte beim Klavierunterricht bleiben sollen.
      »Hast du mir nicht mal erzählt, daß du Musikstücke schreibst, die auf DNA-Strukturen basieren?« fragte sie. »Ist das so was?«
      »Teilweise. Ist eine Idee, die Leonard Bernstein in einer seiner Vorlesungen erwähnt hat. Sie hat mich immer fasziniert. Eine angeborene, universelle Musiksprache.« Er kam auf sie zu. »Vic, ich weiß zufällig, daß dein Interesse an Musiktheorie ebensogroß ist wie das an Atomphysik. Und du hast mich noch kein einziges Mal angesehen, seit du da bist. Ist was passiert?«
      Sie wandte sich zu ihm um. »Nathan, warum hast du mir nie gesagt, daß du Lydia gefunden hast?«
      Er starrte sie an. »Ist mir nie in den Sinn gekommen. Und wenn, hätte ich angenommen, daß du es sowieso weißt.«
      »Nein, ich hatte keine Ahnung - bis ich heute eine Kopie des Polizeiberichts gelesen habe.«
      »Ist es denn wichtig?« fragte er verwundert. »Hast du geglaubt, ich halte absichtlich etwas vor dir zurück?«
      »Nein, eigentlich nicht«, erwiderte sie. Sie gab ungern zu, daß ihr dieser Gedanke angesichts seiner nüchternen Reaktion gekommen war. »Es ist nur - alles, was Lydias Tod betrifft, ist so wenig schlüssig.« Sie fröstelte unwillkürlich.
      »Es ist kalt hier drin. Komm zum Kamin«, sagte Nathan besorgt, und diesmal folgte sie ihm bereitwillig.
      »Warum hast du mich nie gefragt?« erkundigte er sich, nachdem er sie im tiefen Sessel dicht am Kaminfeuer placiert hatte. »Ich hätte dir alles gesagt, was du wissen willst.«
      »Um fragen zu können, hätte ich zumindest einen Hinweis haben müssen. Und selbst jetzt ist mir die Fragerei unangenehm, weil ich befürchte, daß du nicht gern darüber sprichst, daß es schmerzliche Erinnerungen weckt.«
      »Hm.« Nathan setzte sich ihr gegenüber und griff nach einem Drink, den er sich offenbar während des Wartens gemixt hatte. »Es war sehr schmerzlich - damals. Das stimmt«, antwortete er bedächtig. »Und

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