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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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ausgezogen hast«, sagte Vic und lächelte.
     
    Newnham 29. April 1963
      Liebe Mami,
    Oh, was für ein großartiger Tag!
      Als ich aus der Nachmittagsvorlesung bei Sonnenschein und Ostwind nach Hause kam, lag Post in meinem Fach. Und zuunterst entdeckte ich den vertrauten Umschlag.
      Ich habe ein unverzichtbares Ritual für solche Fälle: die heilige Stille meines Zimmers, das Aufräumen der Vorlesungsunterlagen, Teekochen und dann erst der Brieföffner. Den Umschlag vom Zeitschriftenverlag habe ich mir - wie immer - bis zuletzt aufgehoben.
      Ich habe nicht nur ein Gedicht verkauft, sondern drei! Den >Jagdreiter<, >Das letzte Abendmahl< und >Sonnenwende<. Und die Themen aus der englischen Mythologie haben so viel Gefallen gefunden, daß sie auch den Rest lesen möchten.
      Ich hab’s noch niemandem erzählt - nicht mal Daphne. Du solltest die erste sein.
      Ich weiß, Du hast Dir die letzten Monate Sorgen um mich gemacht. Aber das schwierige Gelände ist überwunden, und ich weiß jetzt, daß ich den rechten Weg gegangen bin.
      Der Anfang ist gemacht. Jetzt muß ich den Erwartungen gerecht werden.
    Alles Liebe, Lydia
     
    Die Haustür knarrrte. Vic sah von ihrem Schreibtisch auf und horchte. Sie warf einen Blick auf die Uhr. Es muß der Wind gewesen sein, dachte sie - sie hatte noch eine halbe Stunde, bis Kit aus der Schule kam.
      Nachdem ihre Tutorengespräche in der zweiten Hälfte des Nachmittags ausgefallen waren, hatte sie die Gelegenheit ergriffen, früh nach Hause zu fahren und eine Stunde in Ruhe zu arbeiten. Sie hatte ihren Schreibtisch teilweise freigeräumt, Lydias Manuskriptseiten mit den unbekannten Gedichten wie Teile eines Puzzles ausgelegt und die Reihenfolge immer wieder verändert.
      Die Gedichte waren gut, kein Zweifel, sogar brillant - ein letzter Schritt nach vorn in der Entwicklungsgeschichte von Lydias Lyrik. Sie griff darin Themen aus ihrer ferneren Vergangenheit auf, verschmolz Elemente ihrer frühen, an der Mythologie orientierten Lyrik mit dem Bekenner-Stil der späteren Jahre und erzielte damit eine neue Harmonie. Fügte man diese bis dato unbekannten Gedichte in die letzte veröffentlichte Sammlung ein, gewann diese eine zuvor nie von ihr erreichte Dimension.
      Vic hatte beschlossen, dafür zu sorgen, daß die Sammlung so veröffentlicht wurde, wie sie wohl ursprünglich gedacht gewesen war. Sozusagen als Hommage an Lydia Brooke.
      Vic vertauschte erneut zwei Gedichte. Und da war es wieder, dieses Gefühl, daß es eine bestimmte Reihenfolge gab, ein Muster, das ihr immer wieder entglitt ...
      Die Haustür fiel zu. Das klang eindeutig nach Kit. Im nächsten Moment hörte sie, wie sein Schulranzen mit einem dumpfen Knall vor ihrer Arbeitszimmertür auf dem Fußboden landete. »Hallo, Schatz«, sagte sie, ohne aufzusehen. »Wie war’s in der Schule?«
      Keine Antwort. Sie drehte sich um. Kit stand in der Tür. Trotz und Ärger standen ihm ins Gesicht geschrieben. Obwohl er gelegentlich unter der typisch pubertären schlechten Laune litt, war er normalerweise ein fröhliches Kind und besonders aufgekratzt, wenn die Schule erledigt war. »Was ist los, Liebling?« fragte Vic besorgt. »Alles in Ordnung?«
      Er zuckte nur schweigend die Schultern.
      Na gut, dachte Vic. Versuchen wir’s mit einer anderen Taktik. Sie nahm die Brille ab und reckte sich. »Schlechter Tag?« erkundigte sie sich beiläufig.
      Erneutes Schulterzucken. Er wich ihrem Blick aus.
      »Mir geht’s auch nicht besser«, sagte sie aufs Geratewohl. »Vielleicht hilft uns ein Spaziergang. Was meinst du?«
      Diesmal schien sein Schulterzucken Zustimmung anzudeuten.
      »Willst du zuerst was essen?« erkundigte sie sich und bekam als Antwort ein energisches Kopfschütteln. Das war ein schlechtes Zeichen. Normalerweise hatte er nach der Schule einen Bärenhunger. »Dann hole ich meinen Mantel.«
      Sie hörte, wie er durch die Küche und auf die Toilette stapfte, dann schlug die Hintertür zu. Oh Gott, dachte sie und sank gegen das Waschbecken. Es kam immer aus heiterem Himmel. Und ausgerechnet heute hatte sie einen besonders schlechten Tag hinter sich. Sie hatte gleich am Morgen die Notizen für ihre Vorlesung verlegt, dann hatte eine Studentin einen hysterischen Anfall gehabt, und zu guter Letzt, nach dem Mittagessen, hatte alles in einer häßlichen Auseinandersetzung mit Darcy gegipfelt.
      Der Streit war ausgerechnet darüber entbrannt, wer den Fotokopierer zuerst

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