Debütantinnen - Roman
Betrügerin zu sein − wie eine Schauspielerin, die in einem Stück, das sie nicht gelesen hat, auf der Bühne herumspaziert und ihren Text nicht kann. Du scheinst alles vollkommen zu verstehen − warum bin ich so ein Dummkopf?
Stets Dein
dummes Kind
C ate versuchte, ein Nickerchen zu machen, doch sie fand keine Ruhe. Sie setzte sich im Bett auf. Das Zimmer war riesig, in New York waren die meisten Wohnungen kaum so groß. Eine ganze Fensterwand führte hinaus auf sanfte Hügel, die zum Meer hin dramatisch abfielen.
Wer hatte hier gelebt? Wer hatte die zartgelbe Farbe für die Wände ausgewählt, den Chintz für die Vorhänge mit seinem Muster aus blauen Glyzinien und grünem Efeu? Dieses elegante Bett im Empirestil aus Walnussholz? Sie strich mit den Fingern sanft über das kühle Leinen des Kissenbezugs. Am Rand war ein Monogramm, »I. A.«, mit perlmuttfarbenem Seidenfaden gestickt. Ein Hochzeitsgeschenk?
Sie öffnete die Nachttischschublade, die sich mit leisem Beben wehrte. Zwei ordentlich gefaltete Taschentücher, eine Tube E45-Creme gegen Hautausschlag, halb leer, ein paar Knöpfe, eine Quittung von Peter Jones am Sloane Square für Wolle aus dem Jahr 1989.
Cate schloss die Schublade wieder und nahm einen abgegriffenen Band von einem Stapel Bücher, Gedichte von Thomas Moore , und schlug ihn auf. Auf dem Vorsatzblatt stand in kühner, extravaganter Handschrift » Benedict Blythe, Tir Non Og, Irland «. Das Buch war alt und fiel auf einer Seite, die mit einem ausgefransten karmesinroten Seidenband markiert war, auseinander.
Das Schiff
Eil’ fort, eil’ fort, du kühnes Schiff,
Wohin dich immer treibt der Wind,
Er führt dich nicht zum steilen Riff,
Der böser wär’, als wo wir sind.
Ach jede Well’ zu sagen scheint:
»Wenn hinter uns der Tod auch weint,
Sind wir so kalt, so falsch doch nicht,
Als deren Freund’ das Herz dir bricht.«
Schnell seg’le durch den weiten Raum
In Sturm und Stille, fort vom Land;
Das Meer gibt Ruh’ in Wut und Schaum
Dem, der zu Land die Herzen fand.
Nur zeigt sich dir ein wüster Ort,
Wo nie der Menschen falsches Herz
Die Welt entweiht, − einst ohne Schmerz −
Da Barke bleib’ − doch auch nur dort! 2
Kleine Gedichte von Byron und Moore.
Englisch und Deutsch von C.v.d.K., Berlin, 1829.
Ein seltsam verzweifeltes Gedicht − eine bedenkliche Wahl für eine ältere Dame, die ihren Lebensabend allein in einem Haus am Meer verbrachte.
Cate legte das Buch zurück zu den anderen und nahm sich den Schrank vor. Leere Drahtkleiderbügel schaukelten an der Stange. Abgesehen von einigen zusätzlichen Laken in den Fächern war der Schrank leer. Dasselbe galt für die Kommode. Verblasstes geblümtes Schrankpapier und ein paar vergilbte Duftkissen waren alles.
Sie wandte sich der Frisierkommode zu. Eine silberne Bürste und ein Kamm, ein Porzellanschälchen mit braunen Haarspangen, eine staubige Schachtel Yardley ’ s Maiglöckchen-Talkumpuder. Und ein altes Schwarz-Weiß-Foto, vermutlich Irene mit ihrem Mann. Sie nahm es zur Hand. Sie waren beide über siebzig, standen kerzengerade da, nah beieinander, doch ohne sich zu berühren. Irene war so dünn, dass sie fast gebrechlich zu nennen w ar. Sie trug einen schmucken Strohhut und ein dunkles, raffiniert geschnittenes Maßkostüm. Ihr Mann trug stolz die komplette Paradeuniform seines Air Force Command, einen Spazierstock mit silbernem Knauf in der rechten Hand, die Mütze unter den Arm geklemmt. Sie lächelte, das Kinn leicht gehoben, die Augen von einem ausgesprochen klaren Blau. Es war ein heller Tag, und doch war das Foto fehlerhaft. Da war ein dunkler Fleck, ein Schatten, der von rechts auf den Kopf des Colonels fiel. Es war sicher bei einem Veteranentreffen aufgenommen worden. Irene hielt eine Art Plakette in der Hand, doch die Schrift darauf war zu winzig, als dass Cate sie lesen konnte.
Sie überlegte, wo die Plakette jetzt wohl war, wo all die Auszeichnungen waren, die von Irene Avondales lebenslangem karitativem Wirken für das Empire zeugten.
Es war ein ordentliches, freundliches Zimmer, doch seltsam unpersönlich, fast wie ein Bühnenbild. Es hatte eine betäubende Wirkung, als wäre alles Vieldeutige von einer großen, festen Hand glatt gestrichen worden. War Irenes Leben wirklich so ordentlich und präsentabel gewesen? Oder hatte jemand alle persönlichen Spuren der einstigen Bewohnerin getilgt?
Cate verließ das Zimmer, ging den Flur hinunter und öffnete Türen, um die oberen Regionen
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